Elias Hirschl hätte sich wohl kaum einen besseren Veröffentlichungszeitraum für seinen neuen Roman aussuchen können. Selten war ein Buch zum Erscheinen so relevant und traf das Publikumsinteresse derart genau. Aber das Timing ist bei weitem nicht alles, was an Salonfähig perfekt ist. Dieses Buch würde man zum Bundeskanzler wählen. Übrigens: Hier haben wir auch schon eine Kritik zu seinem neuesten satirischen Roman Content, der sich die Problematik der Digitalisierung annimmt.
Eine Kritik von Peter Marius Huemer. Der freie Schriftsteller stellt euch in “Peters Buchtipp” jeden Monat ein außergewöhnliches Werk vor.
24. Oktober 2021: Julius Varga ist der neue Starpolitiker der konservativen Partei. Unser namenloser Erzähler, selbst als Regional-Funktionär der jungen Mitte tätig, ist sein größter Fan. In allen Belangen möchte er wie sein Idol sein, alles für sein Vorbild tun, ihm nahe sein und seine Anerkennung gewinnen. Um das zu erreichen, nimmt er Retorikunterricht und ist umtriebiger und unterwürfiger als alle anderen Parteimitglieder. Er will perfekt sein wie Julius, für Julius. Alles für Julius.
Die Umtriebe der österreichischen Spitzenpolitik sind bekannterweise nicht immer moralisch einwandfrei (wie sich gerade einmal wieder im Fall Sebastian Kurz zeigt) und die Politiker der ersten Reihe sind keine Menschen ohne Makel. Gleiches gilt für die zweite und auch für die dritte Reihe. Genau dort legt Elias Hirschel den Finger hin und zeichnet satirisch überspitzt seine Geschichte. Mit treffsicheren bis ins Absurde gesteigerten Szenen holt er die abgründige Essenz ans Licht. Seine Figuren sind bis auf Julius Varga, dessen realweltliches Vorbild relativ klar ersichtlich ist, nicht unbedingt verzerrte oder verschleierte Kopien echter Akteure der österreichischen Politlandschaft, sondern vielmehr deren kombinierte, neu sortierte, und damit entblößte Essenz.
Die Charaktere sind dabei wohl die glaubwürdigsten Karikaturen, die lebensechtesten Zerrspiegelbilder, die seit langem das litarische Licht der Welt erblickten. Sie sind verrückt, verabscheuungswürdig und dabei trotzdem echt. Sie beginnen alle Szenen in der Realität bevor sie sich von Episode zu Episode bis in den Kern ihrer Verkommenheit abschälen. Salonfähig ist kein Schlüsselroman, sondern viel eher eine Milleustudie, die gerade wegen ihrer Überhöhung die Wahrheit trifft, die so fürchte ich an manchen Stellen, in Wirklichkeit sogar nicht furchtbarer sein könnte.
Obwohl: Im ersten Moment geht es in Salonfähig gar nicht um Julius Varga und dann doch wieder. Schwer zu sagen oder besser wer eigentlich der Protagonist des Buches ist. Und das, obwohl er ständig mit uns spricht, uns anspricht und alles, was er uns erzählt, sorgfältig ins richtige Licht zu rücken versucht.
Die Handlung wird für uns Lesende, wie es in der Politik in Mode ist, geframed, sodass nicht etwa das wichtig ist, was passiert, sondern wie wir es interpretieren sollen. Gleichzeitig ist man sich der Tatsache manipuliert zu werden stets bewusst, während dem Erzähler seine Geschichte immer wieder entgleitet. Trotzdem ist man am Ende vieler Episoden baff. Man hat sich doch hundert Mal hinters Licht führen lassen, obwohl man sicher war, alles zu durchschauen. Die eigene Wahrnehmung, die eigenen Gedanken, wurden für einen “geframed”.
Der Erzähler ist, das versichert er uns, ein echter Mensch mit echten Gefühlen und einer echten Vergangenheit. Immer wieder erlaubt er uns in Rückblenden Einblick in diese. Er ist sich seiner selbst so sicher, versichert er uns, dass er die Welt – von der Politik bis zur Liebe – durch seine für ihn selbst völlig logische Linse sieht. Und man kommt nicht umhin, von ihm in diese Sichtweise hineingezogen zu werden. So erschreckend nachvollziehbar sind seine Gedanken. Der Erzähler möchte so sein wie Julius Varga und framed sich selbst der Welt und sich selber gegenüber als die Person die er sein will. Wann immer aber dieses Framing mit der Realität und der Art und Weise wie andere ihn tatsächlich sehen in Konflikt gerät, gerät auch der Erzähler in einen unauflösbaren Konflikt mit sich selbst und der Text franst aus, wird chaotisch und lässt Licht herein.
Wie jede gute Satire zieht Salonfähig seinen Humor aus der Überspitzung der Realität. Diese Realität ist eine wohlhabende, bürgerliche, abgehobene, naive und schmerzhaft unreflektierte oder besser falsch reflektierte. Elias Hirschl schraubt all das in jeder Szene bis an die Schmerzgrenze hoch und vermischt die ohnehin schon fragwürdige Gedankenwelt seiner Figuren mit grotesken Auswüchsen, grausamen Ereignissen und kontrapunktiert die grauslichsten Thematiken so gekonnt und treffend, dass einem die Kinnlade runterklappt und man sich fast schlecht fühlt, darüber zu lachen. Aber lachen muss man, weil es so verrückt und wahr ist und weil man sich beim Kopfschütteln ein wenig ertappt fühlt.
Sei es eine Schlägerei auf einem Punkkonzert während de eine Figur ständig über die Songtitel und Texte der spielenden Band referiert, während er jemanden verprügelt und seinem Opfer Aufkleber mit nichtssagenden politschen Slogans aufs Gesicht klebt oder die Beschreibung einer Wahlsiegesfeier voller religiöser Entrückung. Elias Hirschl durchzieht den Roman mit wahnwitzig brillianten Szenen. Diese webt er alle ins gleiche sprachliche und formale Muster ein, sodass nicht nur die Episoden für sich, sondern ihre Gesamtkonstruktion das Zwerchfell malträtieren und einem gleichzeitig ein ungutes Gefühl im Magen bereiten. Am Überraschendsten ist, dass man dabei auch immer wieder emotional berührt dasitzt und sich nicht sicher ist, ob man gerade einer Manipulation des Erzählers erlegen ist oder tatsächlich einen wahren Einblick bekommen hat. Beides löst den gleichen Effekt aus und ob wahr oder nicht, man kommt nicht umhin, irgendwie Mitleid zu empfinden.
Eines der am häufigsten gebrauchten Stilmittel und eines der effektivsten, das hier stellvertretend für die vielen weiteren gesondert genannt werden soll, ist das aneinander Vorbeireden der Figuren, das einsame Eskalieren in den Hirnen der Menschen. In einigen Episoden driften die Gespräche der Figuren auseinander. Sie reden alle über etwas anderes, referieren oder erzählen vor sich hin. Sie halten Reden für ein nicht vorhandenes Publikum, ohne auch nur einen Moment lang zuzuhören. Die Gruppendynamik des narzistischen Ringens darum, das Zentrum sein zu müssen und die eigenen Worte für die einzig relevanten zu halten, ist im Text tief verankert. Hier spielt sich eine junge Elite, die keine ist, in Form, spricht immer nur von sich selbst und sagt dabei häufig gar nichts.
Der Gegensatz dazu ist der Monolog des Erzählers, der alleine die Situation bestimmt, wenn er das Wort nicht teilen muss. Hier zeigt jeder Satz genau, wie er verstanden werden will, hält den Roman in einer stetigen Spannung, die sich nicht und nicht auflösen will und einen zwischen Lachanfall und tiefer Erschütterung hin und her treiben lässt. Und dann ist doch alles anders und man ist wieder auf den Erzähler reingefallen, auf seine Natürlichkeit, seine offene Haltung, seine authentischen Worte, seine reine Haut, seine gekämmten Haare, sein fein konstruiertes Ich.
Salonfähig von Elias Hirschl ist einer der witzigsten, erschütterndsten und sprachlich brillantesten Romane, die ich im letzten Jahrzehnt lesen durfte. Echte Kritikpunkte sind nicht zu finden. Deshalb kann ich nicht anders als das Buch auf die bestmögliche Art und Weise darzustellen. Was es macht, macht es ausgezeichnet. Man möchte sagen, das Buch hat mich überzeugt, war authentisch und glaubhaft, es hat seine Geschichte perfekt geframed. Ich würde diesen Roman zum Bundeskanzler wählen.
Salonfähig (Zsolnay) von Elias Hirschl ist seit 23. August 2021 um 22,00 Euro im Buchhandel und Online erhältlich. Wirf unbedingt auch einen Blick auf unsere Review zu seinem neuesten Roman Content.
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CONTENT von Elias Hirschl – Rezension
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Aufmacherfoto: (c) heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.