In seiner pastellangehauchten Tour um die Welt macht Wes Anderson als nächstes in Frankreich, seiner Wahlheimat, Station. Sein The French Expat ist eine französisch-amerikanische Liebeserklärung an den Beruf des Journalismus, und ganz besonders an das Magazin The New Yorker. Ob sich dieser Liebesbrief auch gut auf der Leinwand macht, lest ihr hier.
von Susanne Gottlieb
22. Oktober 2021: Wenn Wes Anderson eine Geschichte erzählen will, dann sucht er sich heutzutage die fantastischen und vielfältigen Orte aus. Das hat ihn in der Vergangenheit schon Kritik gebracht, etwa die Exotisierung von Japan in Isle of Dogs (hier unser Review), aber auch verträumte Urlaubsdestinationen in Europa, wie etwa sein The Grand Budapest Hotel, entstehen lassen. Nun richtet sich seine filmisches Auge auf die Wahlheimat Frankreich. Sein Anthologie-Film ist im fiktionalen Ennui-sur-Blasé, einer verwinkelten, verträumten französischen Stadt angesiedelt.
Doch eigentlich geht es Anderson in seinem Film in erster Linie darum, das journalistische Handwerk zu ehren. Seine Liebe zur amerikanischen Institution, dem Magazin The New Yorker, sowie dessen historische Schreiberlinge und Artikel, bilden die Grundlage seiner Erzählung. Und irgendwie ist es auch eine verträumte Utopie einer Welt, in der die Arbeit des Journalisten noch etwas wert ist und in der Inserate nur die zweite Geige zu Selbstexpression und journalistischer Integrität spielen.
Und dennoch, bei aller Liebe Andersons zur Materie, offenbart der Film in seinem überladenen Aufbau auch ein wenig zu viel der Motivation. Warum The French Dispatch zwar unterhaltsam, aber auch im Sehvergnügen anstrengend ist, das erfahrt ihr hier. Tipp! Auf jeden Fall schwer empfehlen können wir The Power of the Dog, der auch bereits im Kino angelaufen ist. Da ist unsere Filmkritik dazu.
Aufgeteilt in eine Einleitung, ein Nachwort und drei Episoden ist The French Dispatch ein Anthologiefilm über die Arbeit für ein gleichnamiges amerikanisches Expatmagazin in Frankreich. Gegründet wurde es von Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray), und erscheint als wöchentliche Beilage für die Tageszeitung seiner Heimatstadt Liberty in Kansas. Wie der Film erklärt, hatte Howitzer die besten Expat-Journalisten seines Landes um sich geschart, unter anderem Herbsaint Sazerac (Owen Wilson), J.K.L. Berensen (Tilda Swinton), Lucinda Krementz (Frances McDormand) oder Roebuck Wright (Jeffrey Wright).
Die Rahmenhandlung der drei Hauptepisoden, die in den späten 60ern und frühen 70ern spielen, ist die jeweils neueste Ausgabe des Magazins, das Howitzer veröffentlichen will. Die Journalisten sind wieder einmal viel zu lang geworden und vom Auftrag abgewichen. So muss er jeden von ihnen aufsuchen, um zu erfahren, wie man an der Geschichte noch schrauben könnte. Doch das ist nicht so einfach wie geglaubt. Berensen, Krementz und Wright sind nämlich nicht minder exzentrisch wie ihr Boss.
Berensen etwa hat ihre persönliche Involvierung in die Geschichte des hochbegabten Malers und Mörders Moses Rosenthaler (Benicio del Toro). Dessen Bilder seiner Muse Simone (Léa Seydoux) trieben den Kunsthändler Julien Cadazio (Adrien Brody) dazu, ihn zu einer internationalen Berühmtheit zu machen. Krementz hingegen interpretiert die journalistische Unabhängigkeit sehr eigen. Sie dokumentiert nicht nur die Studentenproteste. Sie fängt auch eine Liason mit deren Anführer Zeffirelli (Timothée Chalamet) an und schreibt dessen Manifesto zu Ende. Doch Krementz Einmischung passt natürlich Zeffirellis Freundin Juliette (Lyna Khoudri) nicht ganz. Wright hingegen sollte eigentlich nur ein Porträt über den Küchenchef und Polizisten Lt. Nescaffier (Stephen Park) schreiben. Doch als der Sohn des Commissaires (Mathieu Amalric) entführt wird, nimmt Nescaffier eine nicht vorauszusehende zentrale Rolle in seiner Rettung ein.
Über einen Wes Anderson Film zu schreiben ist in etwa, wie die Konsistenz von Wasser zu beschreiben. Die klassischen Elemente sind bekannt und auch alle wieder in diesem Werk vereint. Die perfekt ausgeklügelten Symmetrien, die weichen, pastellenen Farben, die rapiden Schuss-Gegenschuss Einstellungen in Konfrontation, die detaillierte Zubereitung von Essen, die launige Musik, die animierten Actionsequenzen und das übliche Cast-Grüppchen, das er seit Jahren immer wieder zu sich aufs Set zurück beordert.
Somit ist die Qualität von The French Dispatch weniger eine Frage des stilistischen Handwerks, das wie immer exzellent ist, sondern mehr eine Frage der Handlung. Anderson hat sich nicht nur thematisch von The New Yorker inspirieren lassen, sondern auch von dessen Inhalten. Konkret basieren alle drei Recherche-Episoden auf historischen Pendants. So ist die Studentenrevolte eine Hommage an Mavis Gallants The Events in May: A Paris Notebook, die Kunsthändler Figur Adrien Brodys basiert auf einer sechsteiligen Reihe über den echten Kunsthändler Lord Duveen. Murrays Herausgeber basiert auf den Co-Gründer des Magazins, Harold Ross. Wilsons Sazerac auf Joseph Mitchell und Wright ist eine Amalgamation von James Baldwin und A.J. Liebling.
Diese Hommagen sind aber nicht essentiell, um den Film verstehen zu können. Wichtiger wäre, der Handlung reibungslos folgen zu können. Hier hat sich Anderson diesmal in seiner Begeisterung etwas übernommen. Seine fünf Abschnitte sind nicht nur dicht gepackt mit Plot, sie sind zu verschachtelt. Man rückt von einem Flashback in den nächsten bis hin zu einem kompletten Szenenwechsel. Neue Figuren tauchen auf und verschwinden, sind für die Handlung aber wenig bis gar nicht relevant. Das wäre nicht so tragisch, doch Anderson hat so einen ausufernden prominenten Cast bis in die Cameos um sich versammelt, dass hier oft falsche Fährten gelegt werden. Diese Gewöhnung an die Tatsache, dass jemand wie Bob Balaban oder Saoirse Ronan fast nur im Hintergrund auftauchen, dauert.
Dies wäre logistisch zumindest noch zu meistern. Doch entsprechend der wohlgeformten, stilistisch niveauvollen Sprache, die ein Magazin wie der New Yorker verwendet, hat Anderson auch sein Skript in einer hochgestochenen, literarisch komplexen Prosa gehalten. Doch eloquente Ausdrucksweisen, in denen alle paar Sekunden Rahmeninformationen und Namen in Bezug auf das Geschehen fallen, können überfordern. Es ist, als würde man ab Buch 4 von George R.R. Martins Das Lied von Eis und Feuer Reihe noch versuchen, sich alle Namen und Beziehungen zu merken. Erst, wenn man bewusst aus dem Anspruch heraustritt, hier jedem Detail folgen zu wollen, und nur die Bilder auf sich wirken lässt, entsteht ein Maß an Unterhaltung.
Wes Anderson versteht es letztendlich doch noch immer, mit Humor und Liebe zum Detail eine romantisierte, hyperstilistische Parallelwelt zu schaffen, in die man einfach eintauchen möchte. Hätte der Film sich aber hin und wieder eine Verschnaufspause gegönnt, wäre hier noch mehr rauszuholen gewesen.
The French Dispatch mag wie gewohnt auf klassische Wes Anderson Art unterhalten, ist aber zu vollgepackt, um den Zuschauer stets in der Entwicklung der Handlung abzuholen und daran teilhaben zu lassen.
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James Bond: Keine Zeit zu sterben – Kritik: Noch einmal Zeit für 007
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.