Ein Blick auf die Wiener Comickunst. Wie sich heimische Comiczeichner und Illustratoren mit viel Kreativität und starken Geschichten neben den großen Marken behaupten und welche eigenen Welten sie dabei erschaffen.
von Klaus Kainz
Comicabteilungen sind üblicherweise prall gefüllt mit internationalen Superhelden- und Action-Manga-Hits. Dabei hat die Comicwelt viel mehr zu bieten – auch in Wien! IllustratorInnen der Wiener Szene bereichern das thematisch enorm breit gefächerte Graphic Novel- und Comicangebot mit einmaligen Werken. Manche Comiczeichner aus Wien, wie der auf Twitter umtriebige Mahmud Asrar, sind inzwischen selbst für große Konzerne wie Marvel tätig. Andere halten aber die Stellung für die Wiener Comic-Nische, die mit originellen Narrativen und Stilen gegen die altbekannten Comicmarken standhält – wie einst Asterix gegen das sinnbildliche Imperium Romanum.
Wir haben unseren Blick sowohl auf interessante Newcomer als auch auf neue Werke alteingesessener Talente geworfen. Ganz unten findet ihr noch einen kleinen Überblick, wo ihr österreichische Comics in Wien findet.
Wer Wiener Comics neu für sich entdecken möchte, will womöglich mit etablierten Klassikern einsteigen. Ganz oben auf etlichen Empfehlungslisten steht das autobiographische Drama Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens von Ulli Lust. Für viele KritikerInnen galt die Geschichte über die Selbstfindung zweier Punk-Teenies als Meisterwerk. Zuletzt knüpfte die preisgekrönte Wienerin an diesen Kritikerliebling mit der Fortsetzung Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein an. Zwar lebt Lust inzwischen in Berlin, porträtiert hier jedoch ihre Perspektive auf das Leben als anarchistische Künstlerin im Wien der neunziger Jahre. Zuletzt adaptierte sie außerdem das Weltkriegsdrama Flughunde.
Franz Suess, eigentlich in Linz geboren, fängt seit seiner ersten Graphic Novel 1160, OTTAKRING aus dem Jahr 2011 immer wieder Wiener Alltagsgeschichten mit einer bedrückenden Melancholie ein. Seine kratzig sowie verschmiert wirkenden Bleistiftzeichnungen und leicht deformierten Charaktere verleihen Szenen aus dem Leben in Wien eine prägnant düstere Stimmung. Im kürzlich erschienenen Paul Zwei erzählt Suess über die Belastungen eines Mannes, der in Wien sein Glück zu finden erhofft, während er eine Geschlechtstransformation durchlebt. Damit schaffte es Suess beim Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung bis ins Finale. Seine zwei aktuellsten Werke Ort (1000%) und Ort (Aspern) werfen wiederum einen vertiefenden Blick auf Dating-Situationen.
Die Bücher von Albert Mitringer haben wir uns bereits im Sommer zur Brust genommen. Der 1991 geborene Comiczeichner aus Wien hat eine dreijährige Ausbildung an der Kunstschule hinter sich und inzwischen zwei Graphic Novels veröffentlicht. Beide kamen bei unserem Literaturexperten gut an, nicht zuletzt wegen seinen einfalls- und detailreichen Illustrationen. Während sein Debüt Lila noch ohne Text die Reisen eines Mädchens durch das Weltall erzählte, nimmt uns Requiem mit auf die Abenteuer eines untoten Ritters (dessen Design manche Gaming-Fans möglicherweise an Undertale erinnert) durch eine Welt voller Dämonen und schauriger Schauplätze. Das Zweitwerk des Wiener Newcomers hat es auch ins Bewegtbild geschafft: in der Mediathek von “3 Sat” gibt es einen stimmigen animierten Teaser von Requiem, falls ihr euch vom Buch überzeugen wollt.
Auch österreichische Zeitgeschichte können Graphic Novels behandeln. So beispielsweise Persmanhof: 25. April 1945, in dem sich Evelyn Steinthaler mit Hilfe der Illustrationen von Verena Loisel mit dem nationalsozialistischen Massaker an der kärntner-slowenischen Bevölkerung gegen Kriegsende auseinandersetzt. Loisel setzt auf einen pragmatischen Schwarz-Weiß-Stil, wobei die Figuren einen eher cartoonhaften Look haben. Das kommt nicht von ungefähr: Die Kunstschulabsolventin verfasst seit 2013 Comicbücher mit vielen poppigen Designs. Ihr aktuell größtes Projekt ist der Webcomic Within. Zudem hat sie bei den Austrian Superheroes (ASH) in Heft #19 einen Kurzcomic beigesteuert. Das seit 2016 laufende Comicheft hat in seinen Geschichten Marvel- und DC-esque Superhelden in Wien angesiedelt. Wir haben euch ASH hier schon in ihrer Anfangszeit vorgestellt.
Der Grafikdesigner und gebürtige Feldkirchner Michael Hacker gestaltet nicht nur professionell Plakate für Bands, sondern bereichert die Wiener Comicszene inzwischen regelmäßig mit absurd-komischen Cartoons. In seinen „Häcksler“-Ausgaben bringt er auf jeder Seite in nur wenigen Panels und ohne Dialoge bizarr-komische Punchlines gelungen auf den Punkt. Nicht nur der Stil, sondern auch die Pointen erinnern an die absurdesten Momente aus Serien wie Rick & Morty (im positiven Sinne). In seiner Crime-Parodie El Herpez dürfen die Charaktere auch sprechen und einer übergreifenden Storyline folgen.
Exklusiv im Einzelhandel steht zurzeit das beeindruckend illustrierte Fantasy-Werk The Brew in limitierter Auflage zur Verfügung. Der unter dem Pseudonym mafutofu arbeitende Grafikdesigner hat das Buch ursprünglich als Bachelor-Arbeit angedacht, dann aber zu einem vollwertigen Comic ausgestaltet. Die vollständig kolorierten Seiten zeigen uns eine Fantasy-Welt voll mit schrulligen Kreaturen und mysteriösen Schauplätzen. Der englische Text wiederum ist in einer eigens für das Buch kreierten Schriftform gehalten. Vier Geschichten über ein mysteriöses Gebräu sollen dabei jeweils einen Lebensabschnitt repräsentieren.
Der womöglich bekannteste Veteran der Comiczeichner aus Wien soll nicht unerwähnt bleiben. Denn wer nach Wiener Comics sucht, wird unweigerlich auf Nicolas Mahler stoßen. Das vielfach ausgezeichnete Comic-Urgestein kann sich nicht nur mit einem umfangreichen Korpus an Illustrationen, Kurzfilmen oder Fernsehauftritten brüsten. Gleichzeitig bereichert Mahler die Welt bis heute mit Graphic Novel-Adaptionen literarischer Klassiker, sei es James Joyce, Thomas Bernhard oder Robert Musil. Solche Granden der Literatur bricht er auf einen humoristisch-minimalistischen Stil herunter, sowohl zeichnerisch als auch textlich. Das erinnert manche vielleicht an die Männchen bei Mordillo, wobei Mahlers langnasige Figuren meist mit noch viel weniger Details auskommen. Kürzlich schrieb und zeichnete er eine humoristische Biographie Thomas Bernhards.
In Wien hat man viele Möglichkeiten, um sich Graphic Novels und Comicbücher zu besorgen. Auf Werke österreichischer bzw. deutschsprachiger Herkunft setzt vor allem Pictopia im 9. Bezirk. Wer dem dortigen Blog folgt, wird zudem über Lesungen und Autogrammstunden informiert. Auch die Bilderbox im 7. Bezirk hat sich auf ausgefallene Graphic Novels spezialisiert. Zumal vertreiben beide Standorte immer wieder Österreich-spezifische Publikationen. Darunter das aus einem Stammtisch entstandene Tisch 14-Comicheft, bei dem nicht nur Albert Mitringer, Franz Suess oder Verena Loise, sondern auch viele weitere heimische ZeichnerInnen ihr Talent unter Beweis gestellt haben.
Bei uns findest du nicht nur Reviews zu Comics, sondern auch zu Büchern generell und auch Serien mit Comichelden. Und Empfehlungen für tolle Buchgeschäfte in Wien:
George Lucas Graphic Novel – der lange Weg zu Star Wars
Invincible – was die Comicserie so sehenwert macht
Die 12 besten Buchläden der Stadt
Aufmacherfoto: (c) Nicolas Mahler/Suhrkamp Verlag, Ulli Lust, Albert Mitringer, Paul Suess/Luftschacht, Verena Loisel/Pictopia Comics, Michael Hacker, Mafutofu/Pictopia Comics
Der Redakteur (APA, Helden der Freizeit) und Videospiel-Blogger reviewed für uns vor allem Games, Serien und Filme - ist aber auch so manchem Naturausflug nicht abgeneigt.