Adrenalin, Sex, Drogen und Gewalt. Mit Sky Rojo haben die Macher von Haus des Geldes, Esther Martínez Lobato und Álex Pina, ihren eigenen Tarantino geschaffen. Die Netflix-Serie vermittelt dem Zuschauer aber auch eine wichtige Botschaft über Sexploitation und ihre Opfer.
von Susanne Gottlieb
23. März 2021: Spanien macht sich schon seit einer Weile mit Netflix Serien verdient. Elite, El Internado, Grand Hotel und Velvet waren große Hits für den Streamer. Mit Haus des Geldes reihten sich Esther Martínez Lobato und Álex Pina dabei mit in die Liste der spanischen Hits ein. Ihr Nachfolgewerk Sky Rojo geizt ebenfalls nicht mit Brutalität, Kriminalität und der hohen Oktanzahl und hinterlässt den Eindruck einer gut gelungenen spanischen Tarantino Hommage.
Die Serie ist bereits seit dem 19. März auf Netflix verfügbar. Wir sagen euch nun, ob es sich lohnt über Ostern mal reinzuschauen.
Drei Prostiuierte, die spanische Coral (Verónica Sánchez), die kubanische Gina (Yany Prado) und die argentinische Wendy (Lali Espósito), müssen aus ihrem Club auf Teneriffa fliehen. Im Streit mit Bordellbesitzer und Zuhälter Romeo (Asier Etxeandia) haben sie ihm einen über den Schädel gezogen.
Die einzige Lösung, um der Rache seiner Schergen, dem Bruderpaar Moisés (Miguel Ángel Silvestre) und Christian (Enric Auquer) zu entkommen, ist es in einem dunkelroten BMW-Cabrio zu fliehen und irgendwie zu versuchen, sich auf der doch nicht allzu großen Insel zu verstecken.
Die Serie beginnt etwas überstürzt. Viele Figuren, viele Flashbacks, Hauptfiguren, von denen man überhaupt erst weiß, dass sie diese Rolle bekleiden als die Action schon im Gange ist. Aber wenn man über die erste Verwirrung hinaus ist, findet Sky Rojo doch den perfekten Rhythmus, um hier ein wahres Spektakelfeuerwerk zu zünden. Die anfängliche Frage, ob sich dieses ewigen Fangenspiel irgendwann abnützt, stellt sich schon bald nicht mehr. Die Episoden werden vielmehr immer komplexer und dramatischer. Manchmal aber schon etwas an der Schmerzgrenze zu Absurditäten und gängigen Actionklischees.
Sky Rojo will jedoch nicht auf Taratino-Art unterhalten, die Serie hat auch etwas zu sagen. Primär aus der Sicht der Frauen erzählt, zeigt die Serie schonungslos Exploitation, Erniedrigung und sexuellen Missbrauch auf. Nicht umsonst hat Netflix sie mit einem Warnhinweis für Gewalt versehen. Durch den Versuch, hier nicht einen männlichen Blick diese Inszenierung ausnutzen zu lassen, kann das Gezeigte aber auch viel Bedeutung und Kritik transportieren. Eine Anklage der Zustände, die Demütigung von Frauen als Objekte ohne Rechte auf Liebe und Leben. Verstärkt wird das noch von der Narration der Figuren, die ihr Schicksal ungeschönt darlegen.
Es geht, wie der Zuschauer erfährt, selten um den Akt des Geschlechtsverkehrs selbst. Vielmehr sind es die emotionalen Narben, die gebrochene persönliche Intimität oder das erzwungene freundliche Gesicht, die die Frauen am meisten belasten. Die Chararkterisierung lebt auch davon, dass die drei nicht zu Heiligen abgestempelt werden. Coral ist medikamentenabhängig, Gina manchmal untragbar naiv und Wendy oft ein wenig zu aggressiv.
Ergänzt wird diese vielschichtige Charakterisierung dadurch, dass auch den Schergen eine Geschichte gegeben wird. Moisés und Christian erhalten keine Absolution dafür, dass sie die Frauen im Bordell bei Bedarf misshandeln. Aber statt toxischer Männlichkeit als Lebensphilosophie zeigt der zeitweilige Fokus auf ihre Geschichte, wie sie selber durch Notwendigkeit in diese Lage gekommen sind. Der Vater weg, die Mutter mit Schlaganfall, blieb ihnen nur Romeo als Vaterfigur und Fürsorger. Diese Loyalität absolutiert sie zwar nicht, aber zeigt, wie beide Seiten der Geschichte Leidtragende ihrer Umstände sind.
Sky Rojo mag in manchen Szenen zwar etwas zu absurd sein. Die Serie schafft es aber trotz seiner knalligen Ausgangssituation und dem Gewaltsfetisch eine tiefgründige Botschaft zu transportieren. Hier geht es um Zusammenhalt zwischen Frauen und eine erdrückende Industrie, die Opfer auf beiden Seiten fordert.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.