Pixar erweist erneut, dass es ein gutes Händchen bei der Verfilmung schwieriger Themen für junge Geister hat. Allerdings windet sich die Disney-Firma diesmal etwas zu leicht aus manchen Konfrontationen heraus. Unsere Souls Kritik zum Start auf Disney+.
von Susanne Gottlieb
24. Dezember 2020: Pixars Soul hätte eigentlich der neueste Streifen des Animationsstudios in den Kinosälen werden sollen. Dank Corona muss der Film nun wie schon zahlreiche andere Werke dieses Jahr als VOD Angebot starten. Disney hat die Tragikomödie auf Disney+ verlegt, diesmal aber ohne die teure 30 Euro Zugangshürde wie Mulan im September.
Was sich den Zuschauern hier bietet, ist ein weiterer tiefgründiger Ausflug in den Mikrokosmos an Gefühlen und Emotionen, deren Analyse sich Pixar seit ein paar Jahren auf die Fahnen geheftet hat. Von Spielzeug, zu Robotern zu menschlichen Emotionswesen bis hin nun zu Seelen. Soul ist aber zugleich auch einer der erwachsensten Filme von Pixar (hier übrigens unser Ranking der 10 besten). Daher leidet er ein bisschen darunter, als Kinderfilm ein allzu versöhnliches Ende finden zu müssen.
Joe Gardner (Jamie Foxx) ist ein Middle-School-Musiklehrer, der eigentlich seit seiner Kindheit davon träumt ein erfolgreicher Jazzmusiker zu werden. Durch einen ehemaligen Schüler kommt er zu einem Gig in einem Club. Doch bevor er auftreten kann gerät er in einen potenziell tödlichen Unfall, der seine Seele auf die Reise ins Jenseits, das Great Beyond, schickt.
Joe will sich seinen potenziellen Durchbruch nicht nehmen lassen und versucht wieder zur Erde in seinen Körper zu gelangen. Dabei landet er im Great Before, einer Seelenkaderschmiede, wo junge Seelen ihr Training und ihre Persönlichkeiten entwickeln. Die Aufsichtswesen, die Jerrys, halten Joe irrtümlicherweise für einen Mentor, eine verstorbene Person, die kurz vor dem Great Beyond noch einer jungen Seele Weisheiten mitgeben darf.
Er wird der rebellischen 22 (Tina Fey) zugeteilt, die nicht viel Sinn darin sieht, ein irdisches Leben zu beginnen. Die beiden einigen sich auf einen Deal. Joe hilft 22 ihre Ausbildung zu absolvieren und im Gegenzug erhält er ihren Zugangspass zur Erde. Doch wie gewohnt kommt alles ganz anders. Und im Great Beyond ist man auch schon der fehlenden Seele auf der Spur.
Soul ist einer der erwachsensten Filme des Disney Studios, weil er sich mit einer der kompliziertesten Themen der menschlichen Emotionsskala auseinandersetzt. Dem eigenen Tod und Depression. Hier werden nicht Figuren eingeführt, die naiv eines Besseren belehrt werden müssen. Joe Gardner spricht reale Probleme an, in denen sich auch erwachsene Zuseher wiederfinden können. Ein vom Leben enttäuschter Mann, der sich so in seine Leidenschaft verstrickt hat, dass sein Leben sich nur mehr um diese dreht. Der nicht die Erfolge hat einheimsen können, die er wollte und der finanziell noch von seiner Mutter abhängig ist. Der an dieses eine magische Event glaubt, das sein Leben automatisch um 180 Grad drehen wird.
So eine Person zu schaffen bedeutet, dass Pixar hier nicht eindeutig in Schwarz- und Weiß-Denkmustern arbeiten kann. Man muss reifere Ansätzen wählen. Im Gegensatz zu den typischen “Berufswunsch Singer/Songwriter”-Teeniekomödien im Kinderprogramm liegt hier auch nicht der Fokus darauf, den großen Durchbruch zu porträtieren. Vielmehr zeigt der Film die Schattenseiten solcher Realisationen. Dass es manchmal im Leben einfach nicht zu mehr reicht. Es aber auch mehr bietet als die eine Sache, die man sich so sehr wünscht. Und dass, wenn man das Ziel erreicht hat, das Leben damit nicht automatisch, im wahrsten Sinne des Wortes, ein Wunschkonzert wird.
Ähnlich ist es mit 22, die von existenziellen Depressionen und Aggressionen geleitet ist. Während Joe vom Ehrgeiz erblindet ist, ist 22 die Antrieblose ohne Ziel im Leben, deren Unsicherheit sich aus der Annahme speist, für nichts gut genug zu sein. Kein Recht auf ein Leben auf der Erde zu haben. Als Kinderfilm spielt Pixar hier natürlich nicht auf den Tod als Ausweg aus dieser Leere an. Aber es hat schon etwas Bezeichnendes, dass 22 lieber als Seele im Great Before verweilt als auf die Erde herunterzufahren, aus Angst nicht gut und bedeutend genug zu sein.
Diese Themen von Selbstwert und Depression meistert der Film daher großartig. Es gelingt den Machern auch, ein interessant gestaltetes Jenseits zu präsentieren, das frei jeglicher religiöser Symbolik ist, um es global zugänglich zu machen. Woran es beim Film dann aber letztendlich hapert, ist an der Frage nach dem Tod. Hier wackelt er zwischen Joe im Koma und Joe auf der Liste der Seelen, die hinüberreisen sollen. Dadurch entschärft er eine seiner stärksten Botschaften. Für Kinder, die gerade das Konzept von Tod und Abschied auf Immer lernen, könnte hier die Vorstellung einer Verhandelbarkeit entstehen. Die erwachsenen Thematiken, die Soul so kindergerecht aufbereitet hat, winden sich zuletzt in ein zwanghaft kiddiefreundliches Happy End.
Soul ist wieder großartige Ware von Disney und Pixar, der sich ernsteren Themen als seine Vorgänger annimmt. Aber durch sein geschummeltes Ende fehlen hier schlussendlich die großen Emotionen.
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Bilder: © 2020 Disney
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.