Neuer Stoff für Filmnerds. David Fincher widmet sich in seinem jüngsten Werk der Entstehung des Orson Welles Filmklassiker Citizen Kane und zeichnet ein Porträt des Drehbuchautors Herman J. Mankiewicz. Eingebettet wird das Ganze in einer seit Jahrzehnten stark umstrittenen Theorie, die ihn als alleinigen geistigen Schöpfer sieht.
von Susanne Gottlieb
4. Dezember 2020: Ein Film in einem Film, Filmception – die Adaption der oft kontroversen, berührenden oder außergewöhnlichen Entstehungsgeschichte eines Films oder auch eines Theaterstückes hat sich schon oft als gut vermarktbare Ware für Hollywood herausgestellt.
Ob wir nun mit Freddie Highmore in Johnny Depps Armen am Ende von Finding Neverland mitgeweint haben, unsere Freude an Tom Hanks als Reinkarnation von Walt Disney in Saving Mr. Banks hatten oder Tim Burton und Johnny Depp erneut in einer ihrer besseren Zusammenarbeiten in Ed Wood feierten. Ob wir nun staunten, wie Francis Ford Coppolas Apocalypse Now in Heart of Darkness zerlegt wurde, perplex waren, beiTerry Gilliams dramatisch-bizarr gescheiterten Versuch seinen Don Quixote zu inszenieren, dokumentiert in Man of La Mancha oder die total durchgeknallte Geschichte von Tommy Wiseaus The Room aufgesogen haben, festgehalten von seinem Co-Star Greg Sestero in The Disaster Artist – diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Erst vor einigen Wochen wurde verkündet, dass Oscar Isaac und Jake Gyllenhall in einer Adaption der Entstehungsgeschichte über Coppolas The Godfather gecastet wurden.
Dieser Trend ist durchaus verständlich. Denn wenn man etwas mag, dann will man immer mehr davon. Und wenn Sequels nicht mehr gehen, dann am besten die oft bizarren, dramatischen Produktionsgeschichten. Weil, die größten Geniestreiche sind nie ganz entfernt von den absurdesten menschlichen Abgründen. Das scheint sich auch David Fincher gedacht zu haben. Er widmet sich dem König aller Filme, den oft noch immer als bester Film aller Zeiten bezeichnete Citizen Kane von Orson Welles. Ab morgen 4. Dezember, ist das Ganze auf Netflix zu sehen.
Basierend auf einem Skript seines Vaters Jack erzählt er dessen Entstehungsgeschichte aus dem Blickwinkel des Drehbuchautors Mankiewiecz. Doch wie seine Vorgänger interessiert er sich nicht in allen Bereichen für die absolute Wahrheit, sondern entscheidet sich für Dramatisierungen oder Auslassungen, um die Handlung etwas aufzuputschen. Ausgangspunkt war ein Artikel der legendären Filmkrtikerin Pauline Kael. Diese hatte stets die Idee abgetan, dass Welles an dem Skript mitgearbeitet hatte, ohne jedoch je brauchbare Beweise zu liefern. Was das Endresultat zu einem unterhaltsamen, aber weitreichend fiktiven Ritt in die Vergangenheit macht.
Drehbuchautor Herman J. Mankiewicz (der 62-jährige Gary Oldman tritt hier als 41-Jähriger auf) zieht sich1940 mit seiner Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins) in eine Hütte in der Mojave-Wüste zurück. Er will an einem Skript für das neue Wunderkind Orson Welles (Tom Burke) arbeiten. Mit dabei ist die Pflegerin Freda (Monika Gossmann), da Mank einen Unfall hatte, und eigentlich im Bett liegen sollte. Mank hat aus seiner Karriere im Hollywood Bliss noch eine Rechnung offen und beschließt, seine Hauptfigur „Kane“, einen arroganten, megalomanischen Milliardär und Geschäftsmann, an dem realen Geschäftsmann William Randolph Hearst (Charles Dance) anzulehnen. Hearst, ist ein Verleger und Zeitungsmagnat, mit dem und mit dessen Freundin Marion Davies (Amanda Seyfried) Mank sich zunächst gut verstand, aber mit dem er sich schließlich zerstritt.
Verbunden mit Flashbacks zu den frühen 30ern wird Manks Karriere bei MGM aufgerollt. Die Produzenten, mit denen er sich überwarf. Die konservative Scheinheiligkeit, mit der das Business in der Politik mitmischte, um sich unter republikanischer Führung weiter Steuervorteile und Privatbesitz sicherzustellen. Die Unangepasstheit, die ihn für viele zu einem netten Partygag machte, doch langsam aber sicher seine Karriere zum Stocken brachte. Es ist ein Skript, das ihm aber weniger sein Comeback, sondern vielmehr das endgültige Ende seiner Karriere garantieren könnte – so warnen ihn jedenfalls viele. Denn jemand wie Hearst, den beleidigt man nicht einfach.
Wenn David Fincher ein Projekt angeht, dann drückt er ihm stets einen perfektionistisch formvollendeten Stempel auf. Mank ist auch so eine Fingerübung geworden. Fincher erzählt diese Geschichte nicht nur, er malt sie quasi in den Farben der damaligen Ära. Weich gezeichnete Schwarz-Weiß Bilder, sanft gedämpfte Stimmen mit transatlantischen Akzenten oder altmodische Effekte von vorbeiziehenden Hintergründen in Autos. Selbst die Credits zu Beginn werden groß und plakativ zu aufschwellenden Orchestermusik Old-Hollywood-Style eingeblendet. Was den Soundtrack definitiv zu einem der unverkennbarsten Scores von Fincher-Dauerkollaborateur Trent Rezor und Atticus Ross macht.
Fincher spielt auch mit der Form, wenn er regelmäßig zu seinen Rückblenden in die 30er zurück kehrt. Wie in einem Skript erscheint der Szenentitel der Örtlichkeit, des Jahrs und die Notiz, dass es sich um einen Flashback handelt. Es ist das Drehbuch von Manks Leben, lässt man sich schnell hinreißen zu sagen. Und wirklich, eine gewisse Dramatisierung lässt sich hier nicht abstreiten. Fincher sr., der Drehbuchautor, hat sich im Plot eindeutig an einer Theorie der verstorbenen Filmkritikerin Pauline Kael orientiert.
Kael (ihre Promotion von Warren Beattys Bonnie und Clyde beispielsweise half den Film populär zu machen und so die New Hollywood Filmepoche loszutreten) hatte auch ihre weniger brillanten Momente. So publizierte sie 1971 eine Reihe an Essays im New Yorker, in denen sie behauptete, dass Welles zwar Regie geführt, aber nichts zum Skript beigetragen hätte. Dabei werden als Drehbuchautoren sowohl Mankowiecz als auch Welles angeführt.
Ihre Aussagen wurden sofort von zahlreichen Filmkritikern und Filmemachern angegriffen, unter anderem Andrew Sarris und Peter Bodganovich. Sarris war jener Kritiker, der in Amerika die bereits in Europa populäre “Auteur Theorie” einführte. Diese sieht den Regisseur nicht als kleines unpersönliches Zahnrad im Getriebe der Filmproduktion, auf Augenhöhe mit jedem anderen Job vor Ort wie etwa dem Beleuchter, sondern als Autor seiner Werke. Als prägende künstlerische Stimme des Films. Sarris sah Welles als solch einen Autor. Kael lehnte solch eine Theorie komplett ab.
Die Geschichte weist jedoch eindeutig darauf hin, dass Citizen Kane von Welles mitverfasst wurde. Insofern ist vieles, was wir in dem Film sehen, erfunden und verzerrt. Mank lässt sich zu dramatischen Auftritten im Hause Hearst hinreißen, in denen er ihn attackiert. Die hat es so aber nie gegeben. Orson Welles wird als aggressiv-egoistischer Narzist dargestellt, der seinen Drehbuchcredit nicht teilen will. Selbst in der Riege der Nebendarsteller werden gewisse Ereignisse überspitzt, um Manks Ablehnung der (damals) illiberalen Hollywood-Riege und globaler Politik zu verdeutlichen.
Etwas enttäuschend fällt auch aus, dass das darauffolgende Drama um den Film nicht dargelegt wurde. Hearst, der all seine Kräfte mobilisierte, um den Film trotz seiner Erfolge (Oscar-Gewinn für das Skript) zum Flop werden zu lassen. Welles, dessen Karriere danach nie die Höhenflüge erreichen würde, die sie sonst hätte haben können.
Wer sich aber nicht daran stört, dass nur ein Teil der Handlung wahr ist, der wird an dem Film seine Freude haben. Vor allem Filmnerds, denen das alte Studiosystem ein Begriff ist und die ein paar der Namen kennen, die hier wild durch den Raum geworfen werden. Lässige geschmierte Studio Executives, arrogante Producers, unendliche Möglichkeiten an Filmpitches, lange rauchige Zigarren. Hier ist alles dabei, was man unter den 30ern versteht. Für Gelegenheitszuseher könnten die Nebenschauplätze und Figuren aber irgendwann verwirrend werden.
Nicht zu vergesse,n die wie immer gelungene Arbeit von Tausendsassa Gary Oldman, eine zerbrechlich intensive Amanda Seyfried und Charles Dance als der stets unterkühlte, dominierende “Bösewicht”. Eine Standardrolle, die ihm quasi einen späten Karrierehöhepunkt beschert hat.
Mank ist eine Geduldsaufgabe mit einigen Unwahrheiten und Auslassungen wahrer historischer Dramen, die nicht jeder verstehen wird. Dennoch ist der Film ein brillant inszeniertes Drama von David Fincher, der abermals beweist, dass er auch Jahrzehnte später sein Handwerk nicht verlernt hat.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.