WM-Titel verteidigt. F1 2020 übertrifft sich selbst mit noch mehr Tiefe und einem fahrenden Teamchef-Modus. Ganz nebenbei erweist es sich noch als kompletter F2-Simulator. In unserem großen Test erfahrt ihr, was es alles bietet und warum es sich auszahlt, auch heuer zuzuschlagen. Trotzdem gibt es bei diesem (fast) perfekten Game noch Punkte, bei denen wir uns Nachjustierung wünschen.
von Christoph König
6. Juli 2020: Was ist das größte Qualitätssiegel für ein Videospiel? Wenn man sich kaum davon lösen kann und erst aufhört zu zocken, wenn es draußen schon dämmert. F1 2020 verdient diese Auszeichnung – und hat uns beim Test entsprechend einiges an Schlaf gekostet. Sagt nicht, wir hätten euch nicht gewarnt! Ab morgen geht Codemasters neuer Ableger ins Rennen. Aus der Pole Position, denn Konkurrenzprodukte gibt es nicht. Der größte Gegner: F1 2019. Immerhin muss die Simulation der Königsklasse den Leuten Kaufargumente liefern, die schon Vorgängerversionen besitzen.
Zahlt es sich also aus, sich ab morgen F1 2020 in der Schumi-Edition oder ab Freitag in der normalen Version für Xbox One, PC, Stadia oder PS4 zuzulegen? Wir haben unsere PS4 Pro gestartet und sagen euch im Review, ob wir jetzt auch so zufrieden schnurren wie ein Mercedes-Motor.
Fix ist: In F1 2020 können wir endlich unsere Allmachtsfantasien ausleben. Hier hat der Spieler schon fast gottgleiche Auswahl- und Einstellungsmöglichkeiten. Das beginnt bei den Spielmodi: Zum Zeitfahren, Grand Prix Modus, Herausforderungen wahlweise mit F1, F2 oder legendären Wagen kommen ein Karrieremodus (wie gehabt) und ein My Team-Modus (neu!) hinzu. Wie früher ein Bruce McLaren halten wir hier als fahrender Teamchef das Steuer in jeder Hinsicht in der Hand. Dazu gibt es Online-Events, Ligen und seit 2014 erstmals wieder einen Splitscreen, bei dem man zu zweit am (idealerweise großen) Bildschirm Gas geben kann. Das funktionierte bei unserem Test absolut flüssig.
Ein Stück Videospiel-Geschichte ist das Game ohnehin schon – simuliert es doch eine Saison, die es so wegen Corona in dieser Form gar nicht gab. Die für uns fast mächtigste Verbesserung entsteht für uns in diesem Zusammenhang dadurch, dass man sich jetzt eine Saison komplett nach den eigenen Wünschen mit Rennen seiner Wahl zusammenstellen kann; entweder mit 22 WM-Läufen (wie von der FIA ursprünglich geplant), nur 16 oder 10. Ungeliebte Strecken fliegen einfach raus. Optional bastelt man sich eine Meisterschaft nur mit Klassikern wie Spa, Monaco oder Monza zusammen – vielleicht aber auch nur mit neuen Strecken.
Hier sind Hanoi (Vietnam) und Zandvoort (Niederlande) hinzugekommen. Erstere ist eine Strecke mit einer extrem langen Gerade, die in den Kurven wegen den Wänden kaum Fehler verzeiht. Beim Test hat es uns aber vor allem Zandvoort angetan – der Kurs zeigt sich ganz oldschool, eng mit sehr schnellen und langen Steilkurven. Schon bei den ersten Testrunden mit Schumachers altem Jordan hat er unser Herz erobert.
Apropos legendäre Wagen: Da wurde der Fuhrpark der letzten Jahre (lest hier die irren Hintergrundgeschichten zu den klassischen Autos aus der 2017er Version und der 2018er Version) nochmal aufgestockt. Im Vergleich zum Vorjahr neu dabei sind der Ferrari F1-90, der McLaren MP4/5B, der Ferrari F10 2010 und der McLaren MP9-25. Dazu kommen in der Schumacher Deluxe Edition der erwähnte Jordan 191, der Benetton B194 und B195, sowie der Ferrari F1-2000. Hier die komplette Liste aller 20 Fahrzeuge:
1988 McLaren MP4/4
1990 McLaren MP4/5B
1990 Ferrari 641
1991 McLaren MP4/6
1991 Jordan 191
1992 Williams FW14
1994 Benetton B194
1995 Benetton B195
1996 Williams FW18
1998 McLaren MP4-13
2000 Ferrari F1 2000
2003 Williams FW25
2004 Ferrari F2004
2006 Renault R26
2007 Ferrari F2007
2008 McLaren MP4-23
2009 Brawn BGP 001
2010 McLaren MP4-25
2010 Ferrari F10
2010 Red Bull RB6
Die Qual der Wahl hat man auch wieder bei den Einstellungsoptionen, wie gewohnt beim Setup des Autos, dem in 120 Stufen regulierbaren Schwierigkeitsgrad bei den KI-Gegnern und bei den Fahrhilfen. Von Traktionskontrolle, Bremshilfe, Anzeige der Ideallinie bis zum Assistenten für Boxengasse und Start vermissen wir nichts. Wer ein Lenkrad zuhause hat, der wird hier fast alles auf manuell stellen. Auch mit Controller spielt sich das Spiel sehr gut, hier sollte man aber beispielsweise das Anti-Blockier-System aktivieren, sonst ist das Auto besonders bei Regen nicht fahrbar.
Neu ist der Gelegenheitsspielermodus. Der lässt Frusterlebnisse kaum zu, bei einem Ausritt werden wir wieder auf die Strecke gezaubert. Das Auto zieht automatisch Richtung Ideallinie, und zu bremsen braucht man eigentlich gar nicht. Das erledigt die KI. Zum Streckenlernen ist das ganz nett – man kann sich voll darauf konzentrieren eine tolle Linie zu fahren. Allerdings würden wir diesen Modus nur blutigen Anfängern empfehlen. Denn das automatisch Abbremsen sorgt dafür, dass man einiges an Zeit liegen lässt. In China beispielsweise waren wir mit diesem Modus mehr als eine Sekunde langsamer.
Das Beste an F1 2020 sind aber der Karrieremodus und der brandneue My-Team-Modus. Dabei gründet ihr ein eigenes, elftes Team. Das alleine sorgt für noch mehr Action bei den Rennen, einfach weil 2 Autos hinzukommen. Ihr erstellt einen Boliden mit euren Wunschfarben und wählt einen Namen und ein Logo. Ein Sponsor, mit mehr oder weniger ambitionierten Zielen, lässt die Kasse klingeln, im Laufe der Zeit könnt ihr auch Co-Sponsoren auswählen. Zuerst entscheidet ihr, welchen Motorenhersteller ihr wollt (Renault, Ferrari, Honda oder McLaren). Und ihr wählt einen zweiten Fahrer aus – am Anfang könnt ihr euch nur einen jungen aus der Formel-2 leisten, später wenn mehr Geld hereinkommt, einen Star traden.
Neu ist das Team-Hauptquartier, das sich zu den gewöhnlichen Entwicklungsbäumen gesellt, die auch im Karrieremodus enthalten sind (Chassis, Aerodynamik, Motor, Strapazierfähigkeit). Hier geht die Entwicklung schon vor und zwischen jedem Rennen los. Ihr könnt einzelne Abteilungen aufstocken und verbessern. Oder Geld in Marketing und die Entwicklung eures zweiten Fahrers investieren. Denn der ist im eigenen Team kein Rivale, sondern soll ja mit euch Punkte sammeln. Da spendieren wir dem Kerl schon mal ein paar Extraeinheiten am Rennsimulator für schlappe zwei Mille.
Euer Team beginnt in der Entwicklung ganz unten. So heißt das Ziel unseres schicken “Helden der Freizeit”-Renners erstmals punkten. Selten haben wir uns so über einen siebenten Platz gefreut. Auch gilt es nun, die Tage zwischen den Rennen zu füllen. Vom Pilotentrainingslager bis zum PR-Medienevent oder einem Intensiv-Entwicklungsschwerpunkt für eine Abteilung ist alles dabei. Das Ganze verleiht dem Spiel noch mehr Tiefe und lässt uns noch gieriger auf das nächste Rennen werden. Auf der Strecke liefert F1 2020 wie gewohnt Topniveau ab, vom Handling bis zum Sound der Renner. Als gute Neuerung erweist sich die “Überholtaste”, die uns jetzt leichter als vorher mit der L2-Taste über das ERS-System einen kleinen Leistungsboost beschert.
Doch auch der Karrieremodus ist wieder weltmeisterlich. Denn: Er beginnt mit einer kompletten F2-Saison (optional mit einer halben oder nur drei Bewerben). Das sind 12 Rennen, plus 12 Sprintrennen. Heißt: Nach Training und Quali fahrt ihr einen Lauf. Dann gehen die Top-8 in gestürzter Reihenfolge noch einmal an den Start. Dieses Durchwürfeln des Feldes und dass es kaum Speed-Unterschiede zwischen den Teams gibt, sorgt für extrem kurzweilige Rennen. Zusätzlich macht der rauschige Sound der Boliden Spaß.
Die Kritikpunkte an F1 2020 fallen in die Kategorie “Jammern auf hohem Niveau”. Trotzdem gibt es einiges, was wir uns für die nächste Konsolengeneration wünschen. Die Stimmung abseits der Strecke wirkt ein wenig zu steril. Wo sind die Fans, die uns um Autogramme bestürmen? Warum stellt uns jedes Mal die selbe Reporterin die Fragen nach dem Rennen, mit Antworten, bei denen wir die Auswirkungen immer vorhersehen können? Wie wäre es mit einer Pressekonferenz? Hier wäre es weitaus spannender, die Folgen meiner Antworten wie bei Rollenspielen nicht ganz abschätzen zu können.
Und wozu versuche ich bei einer Formel-2-Saison das Beste herauszuholen, wenn ich dann im Karrieremodus ohnehin aus allen F1-Teams wählen kann? Realistischer wäre, wenn ich mich Schritt für Schritt zu einem besseren Rennstall nach oben kämpfen muss. Und warum gibt es seit Jahren immer dieselben sechs Trainings-Herausforderungen? Können sich diese nicht flexibler nach der aktuellen Entwicklung des Autos richten? Und wie wäre es mit einem Streckeneditor? (Man wird ja wohl träumen dürfen.)
Ja, auch für Besitzer der Vorgängertitel rentiert sich der Kauf von F1 2020 – für alle anderen sowieso. Zwei tolle neue Strecken, eine WM mit Rennen nach Wahl, der motivierende neue My Team-Modus, neue legendäre Autos und der Splitscreen liefern genug Argumente. Unser heimlicher Star ist aber die komplette Formel-2-Saison im Karrieremodus.
Auf der Strecke stimmt beim F1 2020 Spiel zweifellos alles – alleine die Atmosphäre rund um den Asphalt könnte dichter sein. Stichwort Fans, Medien – Hallo? Das ist die Königsklasse! Wo bleibt der Rummel? Bestes Beispiel: Autopräsentation. Das neue Vehikel wird ein paarmal in einem dunklen Raum angeleuchtet, that’s it! Wenn Codemasters in diesen Punkten noch nachjustiert, werden uns auch die nächsten Ableger nächtens an den Schirm fesseln.
Dieser Videospiel-Herbst wird garantiert ein Knüller. Auf welche Titel wir uns schon besonders freuen und wie unser Fazit zu Iron Man VR ausfällt, liest du in unserem Spieler-Bereich.
Iron Man VR im Test
Spiele-Releases Herbst 2020
Screenshots: (c) Codemasters und heldenderfreizeit.com
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.