Der Oscar Gewinner und 2019 Überraschungshit Parasite setzt seinen nächsten Schritt in der totalen Welteroberung und ist ab jetzt kostenlos (17. Juni) für alle Amazon Prime Abonennten verfügbar. Die perfekte Gelegenheit für alle, die ihn noch nicht gesehen haben, das nachzuholen. Wir verraten euch, warum.
von Susanne Gottlieb
17. Juni 2020: Was war das für ein Jahr für das südkoreanische Kino. Und vor allem für Bong Joon-ho. Der Regisseur, im Westen vor allem für seinen Film Snowpiercer bekannt, hatte in Cannes 2019 sein neuestes Werk Gisaengchung, in unseren Breitengraden als Parasite bekannt, präsentiert. Und gewann dafür prompt die Goldene Palme, den Hauptpreis des Festivals. So weit so gut.
Doch dann passierte etwas ungewöhnliches. Mit Festival zu Festival begann der Film mehr Begeisterung zu kreieren, an den Kinokassen weltweit spielte er insgesamt 266,9 Millionen Dollar ein. 53,8 Millionen Dollar stammen übrigens aus den Staaten und Kanada. Die USA sind bekannt dafür Filme lieber als Remake zu präsentieren als auf einen ausländischen Film mit Untertitel zu setzen. Das macht die Zahlen umso beeindruckender.
Was das weltweite Einspielergebnis betrifft, gibt es sogar noch Luft nach oben. Post-Corona bringen ihn auch die heimischen Kinos wieder ins Programm. Wir verraten euch, warum ihr den Film über eine arme südkoreanische Familie, die sich mit zweifelhaften Methoden Jobs als Hausangestellte bei einer überprivilegierten Familie erschleicht und so eine dramatische Verkettung von Ereignissen in Gang setzt, unbedingt gesehen haben müsst.
Parasite stand bei vielen auf der Favoritenliste für die Oscar-Verleihung. Der Film hatte zu dem Zeitpunkt bereits mehr Auszeichnungen auf Festivals quer über dem Erdball gewonnen als man an einer Hand abzählen kann. Doch die Krönung sind noch immer die Academy Awards. Und die waren bisher in erster Linie an englischsprachigen westlichen Produktionen interessiert. Selbst ein Film wie The Artist konnte gewinnen, weil er nicht in Französisch sondern in Englisch gedreht worden war.
Umso überraschender kam es, dass dieser neue östliche Liebling der Branche plötzlich all diese kulturellen und privilegierten Barrieren durchbrechen und vier Oscars in den teils wichtigsten Kategorien gewinnen konnte. Bester Film, Bester Regisseur, Bestes Drehbuch und Bester Internationaler Film – eine beeindruckene Leistung und ein absoluter Gamechanger.
Bong Joon-ho hat sich im Laufe seiner Karriere einen Namen damit gemacht, mehrere Genres geschickt in einem Film zu verbinden. Mit Parasite ist das nicht anders. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Comedy, Drama und Thriller in einen Film packt und diese Symbiose perfekt funktioniert. Beginnt er zunächst noch als Comedy mit vielen Lachern, in der sich die arme Kim Familie Zugang zum Haus der reichen Park Familie macht, schlägt der langsam dramatische Töne an, als Joon-ho die sozialen Unterschiede und den niederschmetternden Status Quo anzuprangern beginnt. Vom dramareichen dritten Akt einmal abgesehen, der soll hier nicht gespoilert werden. Das schaffen nicht viele.
Für ebenso viel Begeisterung hat auch der Schnitt von Yang Yin-mo gesorgt. Auszeichnungen inklusive. Joon-ho entwickelt in Zeiten von rapiden Wackel – und Sekundencuts eine stimmige Bildsprache, in dem er die Szenen, ihren Rhythmus und ihr Arrangement perfekt timed. Man muss sich nur die Szene mit der Pfirsichallergie ansehen um zu wissen – der halbe Spaß hier ist rein die perfekte Inszenierung und Anordnung der Szene.
Ebenso bahnbrechend ist die Tatsache, dass die Menschen massenweise ins Kino strömten, um einen Film mit Untertiteln zu sehen. Gerade in unseren Breitengraden wird immer wieder gerne synchronisiert, aber sowohl hier als auch in den USA waren die alltäglichen Kinogeher, nicht nur die Arthouse Liebhaber, plötzlich bereit sich durch die kleinen weißen Zeilen am Fuße des Bildes zu kämpfen.
Denn wie schon Bong Joon-ho bei der Golden Globe Verleihung sagte: “Sobald ihr einmal die ein Zoll Barriere an Untertitel überwunden habt, werdet ihr so viele weitere großartige Filme entdecken”.
Man erinnere sich, Filme wie Black Panther und Crazy Rich Asians brachten erneut die Diskussion auf den Tisch, wie erfolgreich können Filme in Hollywood sein, deren Protagonisten nicht weiße, männliche heteronormative Figuren sind. Die letzten Jahre Kino haben gezeigt – sehr sogar. Parasite ist somit nicht nur ein östlicher, fremdsprachiger Film, er inkludiert keine westlichen, weißen Figuren und baut vollkommen darauf auf, dass der Zuseher sich in der südkoreanischen Kultur von selbst zurechtfindet. Keine Erklärungen, keine simplifizierten Darstellungen für den Westen. Welcher wenn nicht dieser Film widerlegt dieses alte Vorurteil also ein für alle mal?
Hier gibt es nicht viel zu sagen. Weil – wie cool ist das? Schwarz-Weiß klingt im ersten Moment vielleicht nicht so aufregend, aber die monochrome Färbung verleiht Filmen einen ganz eigenen filmisch-stilistischen Charakter, akzentuiert manche Bereiche und kreiert einen raueren Flair. Schwarz-Weiß wird vor allem gerne genutzt, wenn es darum geht, die Handlung hervorzuheben, da die knalligen Farben den Zuschauer nicht ablenken sollen. Daher ist der Film definitiv eine Sichtung in S-W wert.
Wie schon mehrmals erwähnt, ist es vor allem die Thematik, die die Filmindustrie und Kinogeher ins Herz geschlossen haben. In Zeiten von einer immer größeren Einkommensschere resoniert ein Film über solche Ungerechtigkeiten natürlich besonders. Die Handlung mag zwar spezifisch auf südkoreanische Verhältnisse abzielen, aber sie ist universell verständlich. Genug, um dem Ganzen eine amerikanische Spin-off Serie zu geben.
Der Erfolg von Parasite ist dem Regisseur absolut zu gönnen, denn er begeistert nicht nur mit seinen Filmen, sondern auch als Typ. Joon-ho war schon immer sehr sympathisch, hat aber mit seiner lockeren, aber doch offen und ehrlichen Art die Herzen im Sturm erobert. Man darf gespannt sein, welcher Thematik er sich in seinem nächsten Film annimmt.
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Fotos: © Filmladen
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.