Am 9. Februar werden in Los Angeles zum 92. Mal die Oscars verliehen. Joker führt die Liste mit elf Nominierungen an, gefolgt von The Irishman, Once upon a Time in Hollywood und 1917 mit zehn. Was kann man sich heuer von der Verleihung erwarten? Unsere Oscar Prognose 2020 für alles rund um die Show.
von Susanne Gottlieb
4. Februar 2020: Die großen Skandale des letzten Jahres sind die Standards der Gegenwart. Nachdem die Show letztes Jahr nach dem Kevin Hart Skandal auf einen Host verzichten musste, wurde dieses Jahr erst gar keiner angestellt. Verständlich, immerhin wirkte die Verleihung 2019 dadurch viel straffer und bekam auch bessere Kritiken als in den Jahren zuvor. Zur Zeit ist aber außer den obligatorischen Vorjahressiegern noch nicht bekannt, wer die Statuen präsentieren wird.
Es wäre aber kein Oscar-Jahr, wenn es nicht auch schon vorab wieder den einen oder anderen großen Skandal gegeben hätte. Da wäre zum Beispiel der Grund, warum Österreichs Beitrag Joy vorab disqualifiziert wurde. Obwohl die Academy den “Best Foreign Language Film” in “Best International Feature Film” umbenannte, gelten noch immer die alten Regeln, dass die Produktion einen Großteil der Zeit nicht auf Englisch sein darf. Die nigerianischen und österreichischen Kandidaten Lionheart und Joy waren aber genau das, weil Nigerianer als ehemalige britische Kolonie Englisch sprechen. Diese Kontroverse startete nicht nur eine Diskussion rund um das globale Kolonialerbe, sondern auch wie sehr solche Regeln den neuen Namen der Kategorie nicht reflektieren würden und Länder ausschließen.
Ebenso sorgten die Nominierungen in den Top Kategorien wieder für Kopfschütteln. “White male rage”, also weiße männliche Wut, schien heuer besonders auszeichnungswürdig zu sein. Filme wie The Farewell, A Beautiful Day in the Neighborhood, Hustlers, Booksmart oder Portrait of a Lady on Fire erhielten keine Nominierungen, während Filme über männliches Leiden wie Joker, The Irishman, 1917, Once upon a Time in Hollywood oder Jojo Rabbit die Listen anführten. Dass alle Nominierten gut sind, ist keine Frage. Aber es gab in den Augen der Kritiker auch keinen Grund, warum so viele weibliche und diverse Arbeiten systematisch wieder nicht anerkannt wurden. Bestes Beispiel Greta Gerwig: sechs Nominierungen für ihr Little Women, aber keine für sie als Regisseurin. Eine Kategorie, die abermals nur von männlichen Kollegen dominiert wird.
Weniger kontroverse News: Die Kategorie “Bestes Makeup und beste Frisuren” wurde auf fünf Nominierungen angehoben.
Ungleich dem letzten Jahr haben sich heuer in den wichtigsten Kategorien sehr klare Favoriten heraus kristallisiert. Es wäre eine große Überraschung, wenn sich hier letztendlich ein Underdog durchsetzen würde.
Trotzdem präsentieren wir euch hier unsere Oscar Prognose, wer schlußendlich das Rennen machen könnte. Das sind die heißesten Anwärter in den wichtigsten Kategorien:
Corpus Christi (Polen)
Honeyland (Nordmazedonien)
Les Misérables (Frankreich)
Pain and Glory (Spanien)
Parasite (Südkorea)
Diese Kategorie ist eigentlich kein Wettbewerb mehr. Das diesjährige internationale Lieblingskind Hollywood ist ganz klar Bong Joon-hos Parasite. Angefangen hat der Erfolg bei der Premiere in Cannes letztes Jahr, wo es als erster koreanischer Film die Goldene Palme gewann. Der Film gilt inzwischen ale einer der besten der 2010er Jahre und hat weltweit 160 Millionen Dollar eingenommen. Zudem wurde dem Cast auch eine hohe amerikanische Auszeichnung zuteil, als es den SAG für den besten Ensemble Film gewann. In den Oscars ist er zudem mit fünf weiteren Nominierungen vertreten.
How to Train Your Dragon: The Hidden World
I Lost My Body
Klaus
Missing Link
Toy Story 4
Diese Auszeichnung dürfte heuer abermals nicht an Disney gehen. Toy Story 4 erhielt zwar gute Kritiken (hier unser Review), flog aber unerklärlicherweise etwas unter dem Radar. Bei den Globes konnte Missing Link das Rennen für sich entscheiden, bei den Animationsawards hatte Klaus die Nase vorne. Es bleibt also zwischen den beiden Kandidaten spannend.
I Can’t Let You Throw Yourself Away (Toy Story 4)
(I’m Gonna) Love Me Again” (Rocketman)
I’m Standing with You” (Breakthrough)
Into the Unknown (Frozen II)
Stand Up (Harriet)
Nachdem das exzellente Elton John Biopic Rocketman von den Awards eher stiefmütterlich behandelt wurde, ist der Film zumindest bei der Bester Song Kategorie der Frontrunner. Die ernsthafteste Konkurrenz kommt hier noch aus dem Hause Disney. Vielleicht gelingt aber auch Cynthia Erivo und Harriet der Überraschungscoup.
Kathy Bates (Richard Jewell)
Laura Dern (Marriage Story)
Scarlett Johansson (Jojo Rabbit)
Florence Pugh (Little Women)
Margot Robbie (Bombshell)
Nach Oscar und SAG Auszeichnungen scheint es ziemlich fix zu sein, dass Laura Dern diesmal mit der Trophäe nach Hause gehen wird. Auch wenn manche maulen dass es nicht die stärkste Performance ihrer Karriere war, gerechtfertigt ist es mit ihrer Leistung in Marriage Story. Außerdem wäre es die Kulmination der “Dernaissance”. Dern hat in den letzten drei Jahre, nachdem es jahrelang eher ruhig um sie geworden war, wieder ihren Weg in den Hollywood Zirkus gefunden und ist momentan sehr gefragt. Erstmals nominiert sind Scarlett Johansson und 2019 Shooting Star Florence Pugh. Gerade Pugh wird in den nächsten Jahren sicher noch ihre Chance bekommen.
Tom Hanks (A Beautiful Day in the Neighborhood)
Anthony Hopkins (The Two Popes)
Al Pacino (The Irishman)
Joe Pesci (The Irishman)
Brad Pitt (Once Upon a Time in Hollywood)
Auch wenn es natürlich schön ist, den aus der Pension zurückgekehrten Joe Pesci wieder auf der Leinwand zu sehen, die Ehre gehört sehr wahrscheinlich Brad Pitt. Ein Schauspieler, der seit 30 Jahren für Beständigkeit am Box Office sorgt, aber den man den großen Preis vielleicht nicht mehr zugetraut hätte. Gleich wie Dern und die Hauptdarsteller-Nominierten ist er bisher in allen Award-Shows als Sieger hervorgegangen. Und wer diese verpasst hat, Pitt hat sich vor allem einen Namen für amüsante Dankesreden gemacht. Es dürfte bei den Oscars also nicht anders werden. Übrigens: Für Ad Astra, in dem Pitt einen Astronauten spielt und der für die beste Soundmischung nominiert ist, verlosen wir hier eine DVD und eine Blu-ray.
Cynthia Erivo (Harriet)
Scarlett Johansson (Marriage Story)
Saoirse Ronan (Little Women)
Charlize Theron (Bombshell)
Renée Zellweger (Judy)
Cynthia Erivo ist der einzige Grund, warum die Oscars kein erneutes #OscarsSoWhite Debakel in der Schauspielkategorie haben. Saoirse Ronan ist nun die zweitjüngste Schauspielerin aller Zeiten, die vier Oscarnominierungen verbuchen kann. Dabei ist auch noch Luft nach oben. Dennoch wird es keine der beiden werden, auch hier stehen die Zeichen auf Renée Zellweger. Die texanische Mimin war auch die letzten Jahre etwas in der Versenkung verschwunden, Judy ist nun ihr fulminantes Comeback und dürfte ihre zweite Statue werden. Nicht alle waren jedoch von ihrer Leistung so angetan, in Kritikerzirkeln wurde Zellweger gelegentlich vorgeworfen, Garland nicht zu verkörpern, sondern nur eine Impression abzuliefern.
Antonio Banderas (Pain and Glory)
Leonardo DiCaprio (Once Upon a Time in Hollywood)
Adam Driver (Marriage Story)
Joaquin Phoenix (Arthur Fleck / Joker)
Jonathan Pryce (The Two Popes)
Zunächst schien es nach einem Dreiermatch zwischen Banderas, Driver und Phoenix. Davon kann inzwischen aber nicht mehr die Rede sein, so wie seine Kollegen hatte Phoenix bisher überall die Nase vorn. Der jüngere Bruder des früh verstorbenen River Phoenix tritt somit weiter aus dessen ewigen Schatten und Kultstatus heraus. Phoenix dürfte sich zudem freuen, wenn die Oscars danach vorbei sind. Der Schauspieler ist bekannt dafür, Festivals und Preisverleihungen nicht sonderlich zu mögen.
Martin Scorsese (The Irishman)
Todd Phillips (Joker)
Sam Mendes (1917)
Quentin Tarantino (Once Upon a Time in Hollywood)
Bong Joon-ho (Parasite)
Regie ist wohl die einzige Kategorie, wo noch ziemlich alles offen ist. Einerseits könnte die Ankündigung Tarantinos, nur mehr einen weiteren Film zu machen, die Academy dazu bewegen, ihm noch schnell den überfälligen Regie-Oscar reinzudrücken. Andererseits könnte Bong Joon-ho die Trophäe gewinnen, als Ausgleich dafür, dass er trotz aller Liebe für sein Werk sehr wahrscheinlich nicht bester Film einheimsen wird. Oder die Academy zieht es durch und gibt dem sehr wahrscheinlichen Besten Film 1917 mit Sam Mendes auch den Regie-Oscar.
Ford v Ferrari (dt. Titel: Le Mans 66)
The Irishman
Jojo Rabbit
Joker
Little Women
Marriage Story
1917
Once Upon a Time in Hollywood
Parasite
Er schien nicht als der offensichtlichste Kandidat, aber er tickt alle Boxen eines Oscargewinners. Sam Mendes Technik “One Shot” Gimmick und Erster Weltkrieg Drama 1917 wird sehr wahrscheinlich zum Besten Film gekürt werden. Eine Option, die mit gemischten Gefühlen aufgenommen wurde. Historisch gesehen macht es Sinn, Filme über den Krieg fielen bei der Academy immer auf fruchtbaren Boden. Aber verglichen mit Filmen der letzten Jahre, wie etwa Dunkirk, ist 1917 etwas dünn an Handlung und emotionalem Gehalt und lebt in erster Linie von seinem Kameragimmick (für das Roger Deakins wohl innerhalb kürzester Zeit seinen zweiten Oscar bekommen wird). Sollte der Film daher gewinnen ist es eine “safe choice” und die Erkenntnis, dass die Academy wohl noch ein paar Jahre brauchen wird, um wirklich jene Innovation zu zeigen, die man derzeit anstrebt.
Neugierig, wie wir die Oscar-Favoriten bewertet haben? Lest hier unsere Reviews zu den heißesten Kandidaten:
Joker Kritik: Düstere Charakterstudie, die etwas dick aufträgt
Little Women – Kritik: Wunderbares Update für eine neue Generation
Once Upon a Time in Hollywood – Kritik: Ein Spaß mit Schwächen
1917 – ein technisch perfekt exekutiertes Meisterwerk
Marriage Story auf Netflix: Ein bittersüßes Film-Erlebnis
The Irishman Kritik – Robert De Niro glänzt im Scorsese-Thriller
Le Mans 66 – Filmkritik: rasantes Rennspektakel, das ans Herz geht
Aufmacherfoto: © Universal Pictures © Warner Bros © Filmladen © Sony Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.