Die Katze ist aus dem Sack. Tom Hoopers Adaption des Andrew Lloyd Webber Musicals Cats schaut nicht nur auf den ersten Blick in den Trailern furchtbar aus. Der Film ist wirklich ein so bizarrer Trip geworden wie er versprochen hat. Ein Katzenjammer.
24. Dezember 2019: Zugegeben, schon das Musical selbst ist aus heutiger Sicht ein wenig außergewöhnlich. Basierend auf dem Gedichteband Old Possum’s Book of Practical Cats (1939) von T. S. Eliot, feierte es 1981 in London seine Premiere und wurde zu einem der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten. Doch im Gegensatz zu anderen Produktionen zogen sich hier Menschen in knalligen Kostümen als Katzen an, balzten über die Bühne und sangen eine Reihe zusammenhangsloser Lieder über sich selber. Mit anderen Worten, der Reiz an Cats war schon immer etwas spezifisch. Und um eins klarzustellen, die Autorin dieser Zeilen mag das Musical auch. Doch dann kam Tom Hooper …
Morgen startet Cats bei uns im Kino – wir durften ihn bereits sichten. Und er ist leider ein Paradebeispiel geworden, wie ein Film ins gruselige Uncanny Valley* abdriften kann.
* Der Effekt, bei dem künstliche Kreaturen den Zuschauer mit ihrer hohen Menschenähnlichkeit visuell verstören, wegen ihrem schaurigen Wandel zwischen Leblosig- und Lebendigkeit.
Das junge Kätzchen Victoria (Francesca Hayward) wird im London der 30-er Jahre in den Straßen ausgesetzt, wo sie auf eine Gruppe Straßenkatzen namens Jellicle Cats trifft. Die Katzen bereiten sich gerade auf den Jellicle Ball vor, in dem eine von ihnen auserwählt wird, um hinauf in den Heaviside Layer aufzusteigen und ein neues Leben zu erhalten. Also mit anderen Worten, wer in den Katzenhimmel kommt. Die Kandidaten, die von Kater Munkustrap (Robbie Fairchield) vorgestellt werden, sind unter anderem Küchenkatze Jennyanydots (Rebel Wilson), Draufgänger Rum Tum Tugger (Jason Derulo), Theaterkatze Gus (Ian McKellen), der Essen liebende Bustopher Jones (James Corden) oder die verstoßene Glamourkatze Grizabella (Jennifer Hudson). Damit wären einmal die gröberen Star-Schauspieler in der Geschichte abgedeckt.
Entschieden wird dieses mauzende Himmelfahrtskommando von der Anführerin der Jellicles, Old Deuteronomy (Judi Dench). Doch der Plot des Musicals ist dünn, und so wird eine Mini-Nebenhandlung, in der Bösewicht Macavity (Idris Elba) Old Deuteronomy entführt, auch noch fleißig ausgebaut. Hier verfrachtet er anscheinend alle Kandidaten auf eine verlassene Planke mitten in der Themse. Sein Ziel: Selber zum Auserwählten der Jellicles werden. Können ihn die anderen Katzen noch rechtzeitig aufhalten?
Cats ist die absolute Verkalkulierung Tom Hoopers, das etwas so eigenwilliges wie der 80er Jahre Musicalhit auch in irgendeiner Weise als „realistische Filmadaption“ funktionieren könnte. Sprich, dass die Figuren als Chimäre zwischen Menschen und künstlichem CGI-Fell, geschlechtsteillos und mit variierenden Größenverhältnissen durch eine verdächtig menschenleere Londoner Großstadt hüpfen und dabei atemberaubend wirken. All die Schwächen des Musicals, insbesondere der fehlende zusammenhängende Plot, rächen sich in diesem uninspirierten Uncanny Valley Aufguss. Cats hat die Kritiker schon immer gespalten, wurde aber ob der Musik und seiner einzigartigen Bühnenshow gelobt. Der Film kann das nicht einmal ansatzweise einfangen.
Das offensichtlichste Problem ist erneut, wie schon so oft in modernen Zeiten, der fehlgeleitete Einsatz von CGI. Den Schauspielern ein computeranimiertes Fell zu verleihen, in dem manche Körperteile (Brüste, Hände) eindeutig menschlich sind, andere wiederum animalisch (warum kommt der Katzenschwanz aus dem Hintern) ist ein Freakexperiment, das als solches nie hätte erlaubt werden sollen. Nun ist das CGI nicht ganz so fürchterlich geworden, wie der erste Trailer vermuten ließ, aber trotzdem wird in den USA in den nächsten Tagen eine upgedatete Version in die Kinos geliefert. Hier wurde ganz eindeutig mehr darüber nachgedacht, ob man etwas kann, denn ob man etwas sollte.
Was man Cats zugutehalten kann ist, dass die Musik eigentlich sehr einprägsam und ohrwurmtauglich ist. Memory, die Ballade Grizabellas, ist ein Klassiker und die Ambition einer jeden jungen Darstellerin, die Nummer einmal zu singen. Nun ist Tom Hooper aber nicht dafür bekannt, ein außergewöhnlich talentiertes Händchen zu haben. Filme wie The King’s Speech oder The Danish Girl waren zwar erfolgreich aber konventionell, seiner bekannten anderen Musicalproduktion Les Misérables stieß bereits eindeutig weniger Liebe entgegen (was unter anderem wohl auch an Russell Crowes Gesang lag).
Wo soll man hier also anfangen. Ist es Ian McKellen, der Milch aus einer Schale leckt? Rebel Wilson, die immer wieder aus ihrer Haut in ein Tanzkostüm schlüpft und mit kannibalistisch anmutender Gleichgültigkeit Küchenschaben mit Menschengesichtern trainiert und frisst? Idris Elbas Blankziehen im schwarzen Katzenpelz und seine mysteriösen magischen Kräfte? Der stets verrotzte Gesichtsausdruck Jennifer Hudsons. James Corden, der noch anstrengender als sonst schon rüber kommt? Die Frage warum manche Katzen Kleidung oder Schuhe tragen und manche nicht?
Nicht alles, was auf der Bühne funktioniert, lässt sich in eine Filmproduktion übersetzen. Der Bombast der Choreographie geht in einem animierten Hintergrund verloren, der sich nie ganz entscheiden kann, ob die Katzen nun so groß wie ein Stuhl oder so groß wie eine Handtasche sind. Der aufgebürstete Plot rund um Macavity macht keinen Sinn und die ganze Figur ein wenig lächerlich. Taylor Swift, die vorab in der Produktion heftigst beworben wurde, schaut genau für ein Lied vorbei. Hooper und sein Drehbuchautor Lee Hall scheitern daher vor allem damit, ihrem Film eine Geschichte zu vermitteln. Wer sind diese Katzen? Warum heißen sie Jellicles? Warum sind sie so spitz?
Und vor allem, ist das alles hier ein Fan Fic Hoopers, der sich nicht um das Quellmaterial schert und den Hintergrund-Charakteren Victoria und Mr. Mistoffelees ein Protagonisten-Upgrade gibt? Gambriger Kuschelmomente inklusive? Es ist durchaus nachvollziehbar, dass Hooper mit „blank page“ Victoria das Publikum substituiert, das in die Welt der Jellicles eingeführt wird, und Newcomerin und Balletttänzerin Francesca Hayward liefert auch eine beherzte Leistung. Nur, warum richtet sich dann Old Deuteronomy später im Film an die Kamera und bricht so die vierte Wand? Es macht einfach alles keinen Sinn.
Mi-Aua. Cats ist von vorne bis hinten eine Katastrophe und eine völlig falsche Einschätzung der kreativen Köpfe und des Studios, was das Publikum verlangt. Allen, die Cats dennoch aus einer nostalgischen Erfahrung heraus mögen, sei der 1998 Direct to Video Film mit einigen der Westend und Broadway Größen der damaligen Adaptionen ans Herz gelegt.
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Alle Fotos: © Universal Pictures
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.