Mit Marriage Story bringt Noah Baumbach die zugleich herzerwärmende wie auch herzzerreißende Geschichte einer gescheiterten Ehe und des darauffolgenden Scheidungskriegs. Wie uns das Netflix-Drama gefallen hat, lest ihr im Review.
6. Dezember 2019: Scheidungen sind nie schön. Schon gar nicht, wenn Kinder mit im Spiel sind. Trotzdem schafft es Regisseur Noah Baumbach (Gefühlt Mitte Zwanzig, Margot und die Hochzeit) in seinem neuesten Drama Marriage Story nicht nur die hässlichen Facetten einer Trennung zu zeigen. Vielmehr zeichnet er ein empathisches Bild einer Familie, die während radikaler Änderungen ihre Balance wiederfinden muss.
Wie sich Marriage Story, der schon länger im Kino läuft und seit heute auf Netflix zu sehen ist, für die Helden der Freizeit geschlagen hat, lest ihr in der Kritik.
Auf den ersten Blick scheint die Ehe von Charlie (Adam Driver) und Nicole (Scarlett Johansson) perfekt. Er, der ambitionierte Theaterregisseur darf bald sein erstes Stück am Broadway aufführen und sie spielt als routinierte Schauspielerin die Hauptrolle. Ihr Glück sollte theoretisch durch ihren kleinen Sohn Henry (Azhy Robertson) vervollständigt werden.
Doch unter der Oberfläche der Beziehung brodelt es. Denn auch wenn sich Nicole und Charlie auf gewisse Weise weiterhin lieben, so steht ihre Ehe doch unumkehrbar vor dem Aus. Ihr Konsens: Eine Scheidung muss her. Als Nicole schließlich von New York zurück in ihre alte Heimat Los Angeles zieht um dort eine Rolle für eine TV-Serie anzunehmen, entbrennt ein zunehmend bitterer Scheidungskrieg, dessen Epizentrum das Sorgerecht um Sohn Henry ist.
Ganz zu Anfang stellt Baumbach in seinem Drama klar, dass er nicht darauf aus ist, einen der beiden Hauptcharaktere zu antagonisieren. Vielmehr versucht Marriage Story einfühlsam das Gefühlschaos zu zeichnen, das mit einer Scheidung einhergeht. Sowohl Nicole als auch Charlie hängen noch aneinander. Das wird gleich in den ersten Szenen offensichtlich, als sie vorlesen, welche Eigenschaften sie aneinander schätzen. Doch die Differenzen, die sie trennen sind unüberbrückbar.
Beide haben offensichtliche Fehler und Macken, die den anderen zu sehr stören, als dass er darüber hinwegsehen könnte. Der größte Knackpunkt für beide ist, dass sie zu ehrgeizig sind und sich schwer auf Kompromisse einigen können.
Dabei gelingt es Baumbach, die Eigenheiten von Nicole und Charlie so fein auszuarbeiten, dass man als Zuschauer für jede Seite tiefstes Verständnis aufbringt. Doch nicht nur die störenden Aspekte werden aufgearbeitet. Einen ebenso zentralen Platz nehmen auch all die guten Seiten des Ehepaars ein.
Daraus entsteht ein wunderbar kohärentes Bild der Verwirrung, die diese Scheidung in Nicole und Charlie auslöst. Denn in Marriage Story fühlen sie nicht nur große Wut über den anderen. Zeitgleich ist da immer noch Liebe und Verständnis füreinander. Intensive Streitgespräche entwickeln sich in Sekundenschnelle zu innigen Momenten, in denen beiden bewusst wird, dass sie zu weit gegangen sind.
Der Netflix-Fim zeigt aber auch, wie schnell eine Scheidung in eine schmutzigen Schlammschlacht ausarten kann. Denn als Nicole sich entgegen ihrer Abmachung mit Charlie doch eine Anwältin zulegt, tritt sie eine Lawine los. Es folgt ein gemeiner Krieg, bei dem nicht nur Geld eine Rolle spielt, sondern vor allem die erzieherischen Kompetenzen beider Elternteile in Frage gestellt werden.
Dabei zeigt das Drama, wie schnell beide Parteien die Kontrolle über diesen Scheidungskrieg verlieren. Befeuert von ihren Scheidungsanwälten, die immer vom Schlimmsten im Menschen ausgehen, eskalieren Charlie und Nicole in ihrem Konflikt immer weiter. Trotzdem bleibt ihre Darstellung im Film zutiefst menschlich und man spürt weiterhin, dass ihnen das Wohl des jeweils anderen noch am Herzen liegt.
Das liegt nicht zuletzt an den Schauspielkünsten von Adam Driver und Scarlett Johansson. Beide gehen in ihren Charakteren voll auf und können sich sichtlich in ihre Situation hineinversetzen. Sowohl die Eigenheiten ihrer Charaktere, als auch deren Ängste setzen Driver und Johansson perfekt um. Vor allem überzeugen sie aber im zaghaften Umgang miteinander. Stets liegt ein Hauch von Unsicherheit in der Luft, wenn sie als ehemaliges Ehepaar miteinander in Kontakt kommen.
Marriage Story ist ein zutiefst menschlicher Film, der nicht nur eine Scheidung thematisiert. Er greift tiefer und geht der Frage nach, wie ehemalige Partner nach der Trennung miteinander umgehen müssen und was mit der Zuneigung passiert, die da einmal war.
Es ist ein einfühlsames Drama, das statt starker Emotionen, die sanften Nuancen im Umgang von Charlie und Nicole betont. Ein bittersüßes Filmerlebnis, das nachdenklich stimmt.
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Bilder: © Wilson Webb/ Netflix
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.