Disney und Pixar lassen sich immer reichlich Zeit mit ihren Sequels. Neun Jahre ist es her, dass wir zuletzt Toy Story im Kino genießen durften. Aber gut Ding braucht eben Weile. Toy Story 4 kommt ab heute in die heimischen Kinos und ist genau wie seine Vorgänger ein Animations-Meisterwerk ohne echte Schwachstellen.
15. August 2019: Neun Jahre sind seit Toy Story 3 vergangen – im Film sind es erst neun Monate seit die Spielzeuge um Woody und Buzz von Andy auf dem Weg zur Uni an ihre neue Besitzerin Bonny weitergereicht wurden. Endlich scheinen sie wieder ihren Platz in der Welt gefunden zu haben. Nur ist Woody plötzlich nicht mehr das wichtigste Spielzeug der Kollektion und als Bonny an ihrem ersten Tag im Kindergarten einer Plastikgabel mit Bastelmaterial und Liebe Leben einhaucht, gehen die Probleme richtig los.
Alles hört auf kein Kommando dreht sich um den Konflikt zwischen der Idealisierung fester Regeln und dem Drang zur Selbstverwirklichung. Eigentlich sehr erwachsene Themen, denen sich das Animationsabenteuer da annimmt. Aber so haben Toy Story Filme schon immer funktionert. Pixar versteht es wie kein anderer aus nachdenklichen Thematiken und spaßiger Action ein Paket zu schnüren, das Kindern und Erwachsenen gleichzeitig etwas bietet.
Was bedeutet es ein Spielzeug zu sein? In Toy Story 4 gerät Woody über diese Frage in Erklärungsnot. Zu Beginn des Films spielt der Cowboy im Kinderzimmer nur noch zweite Geige und sehnt sich nach den Zeiten mit Andy. Am ersten Kindergartentag seiner neuen Besitzerin schleicht er sich als blinder Passagier mit in den Kindergarten, um dem ängstlichen Mädchen beizustehen und sich endlich wieder wichtig zu fühlen. In der Bastelstunde erschafft Bonny schließlich eine kleine Figur namens Sporky aus einer Plastikgabel, schreibt ihr ihren Namen auf die Unterseite der Füße und erklärt sie zu ihrem neuen Lieblingsspielzeug.
Auf dem Heimweg erwacht Sporky zum Leben und ist erstmal verwirrt. Die zum Leben erweckte Gabel ist fix davon überzeugt eigentlich Müll zu sein und will sich selbst ständig in den Papierkorb werfen. Woody hat eine neue Mission: Sporky davon abzuhalten, um Bonny glücklich zu machen. Wie es kommen muss wirft sich Sporky gleich am nächsten Tag aus dem Fenster eines fahrenden Autos und Woody hechtet hinterher. Den beiden steht eine Odysee bevor.
Gleich vorweg: Toy Story 4 ist ein großartiger Film. Er steckt voller kleiner Anspielungen, grandios inszenierter Actionszenen, ist emotional ohne zu viel Kitsch und bespricht wichtige Themen ohne schulmeisterlich zu sein. Vor allem aber ist der Animationsfilm unheimlich witzig.
Der neue Charakter Sporky steht perfekt im Kern des Geschehens ohne sich zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Wie das frisch geborene Geschöpf die Welt entdeckt und fehlinterpretiert, sorgt für große Lacher. Dabei ist Sporky mehr als nur ein Sidekick. Er ist der Angelpunkt der Handlung. Protagonist von Alles hört auf kein Kommando ist allerdings Woody.
Der im Originalton von Tom Hanks vertonte Cowboy ist unsere Identifikationsfigur. Und wer könnte nicht mit seiner Sinnsuche mitfühlen. Ein Jahrzehnt lang war er ein Lieblingsspielzeug. Seine Leben basierte darauf für Andy da zu sein und im Gegenzug erhielt er das Gefühl wichtig zu sein. Ein Gefühl, das auch schon in den vergangenen 3 Filmen herausgefordert wurde. Dieses Mal aber ist es nicht Andy, um dessen Liebe gekämpft wird. Deshalb ist es nicht Eifersucht, die Woody antreibt, sondern eigentlich nur der Wunsch irgendwie nützlich zu sein.
Dieses Problem wird von anderen Charakteren aus jeder Perspektive beleuchtet und es wird gezeigt, dass es nicht nur eine Lösung gibt. Diese Vielseitigkeit allem gegenüber zeichnet den Film aus. Die Ernsthaftigkeit, die hier zu Schau gestellt wird, macht ihn zum erwachsensten Toy Story Film. Kinder bekommen einen spaßigen Animationsfilm mit ihren Lieblingshelden, Erwachsene ein ausgereiftes Drama und ein paar Witze, die wohl den kleineren über den Kopf gehen werden.
Sporky und Woody sind zweifelsfrei das Herz des Streifens, aber auch die anderen Figuren kommen nicht zu kurz. Allen voran Gabby Gabby. Sie ist die perfekte Bösewichtin in einem Film über Bestimmung und Selbstbestimmung. Die Puppe wurde in den Fünfzigern bereits mit einer fehlerhaften Sprachbox produziert und deshalb nie verkauft. Nun sitzt sie auf dem hinteresten Regal einer Antiquitätenhandlung und wartet darauf, endlich ein Kind zu finden, dem sie Freude schenken kann. So wie es die Bestimmung und der Wunsch jedes Spielzeugs ist.
Da kommt Woody in das Geschäft mit seiner perfekt funktionierenden Sprachbox, auf die es nun Gabby Gabby natürlich abgesehen hat. Sie ist böse, weil sie keinen anderen Wunsch hat, ihren Zweck zu erfüllen. Sie ist darin gefangen. Genauso ergeht es Woody, der um jeden Preis Bonny glücklich machen möchte. Jeder Handlungsstrang des Film setzt sich mit genau diesem Dilemma auseinander. Gibt es vielleicht doch einen anderen Weg? Und würde das bedeuten, dass die Bestimmung der Spielzeuge entwertet wird? Die Antwort des Films ist perfekt und differenziert. Bravo!
Technisch stellen Disney und Pixar wieder einmal die Konkurrenz in den Schatten. Wie die Spielzeuge sich durch die Welt bewegen, wie sie interagieren, ihre Gestik und Mimik, wirken so natürlich, dass man vergisst, das nichts auf dem Schirm real ist. Die Details sind atemberaubend. Selten hat ein Animationsfilm solchen Realismus erreicht, ohne realistisch designt zu sein. Die Welt ist lebendig und zu jeder Zeit glaubhaft.
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Toy Story 4 – alles hört auf kein Kommando ist in allen Kategorien hervorragend. Drehbuch, Charaktere, Animationen, Struktur, Themen, Regie. Eine solche Leistung von einem Film, der auf ein jüngeres Publikum abzielt, gibt es nicht oft. Der einzige Wehrmutstropfen ist, dass Buzz Lightyear ein klein wenig in den Hintergrund treten muss. Eine unbedingte Empfehlung! Dieses Meisterwerk sollte man sich nicht entgehen lassen.
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Alle Fotos: (c) Disney/Pixar
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.