Ein Lebensgeständnis in Film. Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar liefert mit seinem neuen Werk Leid und Herrlichkeit einen sinnlichen und überaus sensibles Drama ab. Antonio Banderas brilliert als Alter-Ego des Regisseurs und konnte in Cannes sogar den Darstellerpreis einheimsen. Unser Review
24. Juli 2019: Wenn man etwas über Pedro Almodóvar sagen kann, dann dass seine Filme inhaltlich immer extrem persönlich sind. Die Welten, die er erschafft, sind geprägt von Empathie für Homosexuelle, Transvestiten und vielfältige weibliche Figuren. In Leid und Herrlichkeit wendet er die Linse nun auf sich selbst und erzählt eine semi-autobiographische Geschichte über die eigenen Unsicherheiten und die Unfähigkeit, sich selbst zu akzeptieren. Dargestellt wird das eigene Ich von seinem langjährigen Kollaborateur Antonio Banderas, mit dem der Regisseur das achte Mal zusammenarbeitet.
Wie sehenswert Dolor y gloria (Deutsch: Leid und Herrlichkeit) ist, der heute seinen Kinostart in Österreich hinlegt, lest ihr bin unserer Kritik. Übrigens: Wenn ihr Filmschauen im Freien bevorzugt: Hier gibt es unseren Guide mit den besten Sommerkinos in Wien.
Salvador Mallo heißt die fiktive Version Almodóvars im Film. Ein alternder Filmemacher, der sich mit gesundheitlichen Problemen, Depression und einer kreativen Blockade herumschlagen muss. „Ohne zu filmen ist mein Leben bedeutungslos“, meint er zwar, kann sich aber wegen seines schlechten Gesundheitszustands nicht dazu durchringen, wieder zu arbeiten. Die Ideen fließen zwar weiter aus ihm heraus, ohne aber die Absicht je in Kunst umgesetzt zu werden.
Eines Tages erreicht Salvador der Anruf, dass die Cinemathek von Madrid seinen Film Sabor restauriert hat und ihn gerne mit einem Q&A zeigen will. Salvador hat aber in den 32 Jahren nach den Dreharbeiten nicht mehr mit seinem drogenabhängigen Hauptdarsteller Alberto Crespo (Asier Etxeandia) gesprochen. Nun will er diese Beziehung reparieren. Er beginnt erstmals in seinem Leben selber Drogen zu nehmen und gleitet fortan immer wieder in Erinnerungen an seine Kindheit und seine Mutter (Penélope Cruz) ab. Gleichzeitig muss er herausfinden, wie er mit seinem Leben in der Gegenwart weiter machen will. Weil, ohne Kunst kein Sinn.
Leid und Herrlichkeit ist ein leiser Film, der geduldig und ausdrucksstark eine Lebensbeichte abnimmt. Zwar findet sich oft mehr Leid als Herrlichkeit im Geschehen, letzteres beginnt aber gerade gegen Ende seinen Weg auf die Leiwand zurückzufinden. Im Zentrum thematisiert Almodóvar die Vergänglichkeit. Jene der Menschen um ihn, aber euch die eigene und die Leidenschaft, die er fürs Filmemachen hatte. Doch es ist auch das Filmemachen, das ihn wieder vom Abgrund zurückreißt und neue Wege eröffnet.
Wie in jedem Almodóvar Film ist die Geschichte eine emotionale Mischung aus witzig, intelligent und sinnlich. Eine Ode an die Liebe, die Kunst und die Erinnerungen. Almodóvar erzählt seine Geschichte nicht geradlinig, verschachtelt mehrere Elemente und Ebenen miteinander. Manches ist ein Traum, manches ist eine Erinnerung und manches entsteht auf Zelluloid innerhalb des Films. Die Dinge greifen reibunglos ineinander und schaffen das mosaikartige Bild eines Mannes im Selbstzweifel.
Doch es ist nicht nur der rote Faden, der den Film zu so einer sinnlichen Erfahrung macht. Auch die Bildsprache trägt ihres dazu bei. Production-Designer Antxón Gómez hat mit der rot getünchten Wohnung Salvadors, in der klassische Gemälde und auffällig gestaltete Möbel der Wohlstandsära sich gegenüberstehen, einen zeitlosen Mikrokosmus geschaffen. Hier spielt sich ein Großteil der Handlung ab und hier treffen auch die zeitlosen Erinnerungen und Gedanken Salvadors aufeinander.
Am beeindruckendsten ist aber noch immer Antonio Banderas selbst, der hier eine seiner besten Rollen seit Jahren spielt. Er verschwindet geradezu in der Figur. Man kann erahnen, mit welcher jahrzehntelanger Verbundenheit er und Almodóvar diese Figur mit Leben füllen. Banderas kopiert Almodóvar nicht. Es ist eine Ehrung des Regisseurs, eine Interpretation jener Dämonen, die ihn anscheinend seit Jahrzehnten begleiten. Ob es Banderas, wie zunächst gleich behauptet, mit seiner Darstellung wirklich zu den Oscars schafft, bleibt aber noch abzuwarten.
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Leid und Herrlichkeit ist ein inspirierter Blick in das künstlerische Genie Almodóvars, ohne aber allzu sehr auf seine Zeit der Exzesse und Experimentierfreudigkeit einzugehen. Banderas verbeugt sich mit seiner Darstellung vor dem Meister. Der Almodóvar-Fan im Kino hat das Gefühl, der kreativen Seele des Künstlers ein Stückchen näher gerückt zu sein. (sg)
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Alle Fotos: © Constantin Film
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.