Pokémon in echt – kann das funktionieren? Und wie! In Meisterdetektiv Pikachu beweist das Franchise einmal mehr, wie vielseitig, anpassungsfähig und vor allem zuckersüß es ist. Live-Action-Filme auf Basis von Videospielen sind ja schon oft in die Hose gegangen. Warum dieser Streifen eine wohltuende Ausnahme ist, erklären wir euch in unserer Filmkritik.
11. Mai 2019: Zum ersten Mal schafft es mit Meisterdetektiv Pikachu ein Pokémon-Film in die Kinos, der kein reiner Animationsfilm ist. Basierend auf dem gleichnamigen Nintendo 3DS-Spiel, erwacht unter der Regie von Rob Letterman (Gänsehaut, Monsters vs. Aliens) Pokémon als Live-Action-Film zum Leben. Dabei schafft er den schwierigen Sprung, die Pokémon auch in dieser neuen Erscheinungsform niedlich bleiben zu lassen – kein leichtes Unterfangen, wenn man das Ausgangsmaterial kennt.
Ob Pikachu die Helden der Freizeit elektrisieren konnte, liest du hier.
Im allerersten Live-Action Film des milliardenschweren Pokémon-Franchise begleiten wir den einundzwanzigjährigen Tim Goodman (Justice Smith) auf der Suche nach seinem verschollenen Vater in der futuristischen Stadt Rhyme-City. Hier leben Pokémon und Menschen in friedlicher Koexistenz.
Doch im Gegensatz zu den meisten Menschen will Tim nichts mit Pokémon am Hut haben. Da hat er die Rechnung allerdings ohne Pikachu (im Original mit Stimme von Ryan Reynolds), das ehemalige Partner-Pokémon seines Vaters gemacht. Denn es stellt sich heraus, dass die beiden miteinander reden können – was ganz und gar ungewöhnlich ist. Und das redselige Pikachu will seinen alten Partner nicht so einfach aufgeben.
Deswegen schleppt das kleine Energiebündel Tim schnurstracks hinein in die abenteuerliche Welt von Rhyme City. Hier lernt das Duo die Nachwuchsreporterin Lucy (Kathryn Newton) kennen, die genau wie sie herausfinden will, was mit Harry Goodman passiert ist. Dabei kommen sie einer Verschwörung auf die Spur, die das Zusammenleben der Menschen und Pokémon in Rhyme City gefährdet.
Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu ist ein erster Versuch auch die älteren Fan-Generationen des mittlerweile 23 Jahre alten Franchise abzuholen. Zwar produziert man schon seit Jahrzehnten immer neue Pokémon-Filme, aber die waren bisher primär auf eine jüngere Zielgruppe ausgerichtet. Statt den üblichen Animes mit Kindern in den Hauptrollen, dreht sich im Live-Action-Film erstmals alles um Erwachsene und ihren Umgang mit den kleinen Monstern.
Und zum ersten Mal wird wirklich sichtbar, welche Größendimensionen die einzelnen Pokémon haben. Denn der Film hat den schwierigen Spagat geschafft, ihr Design nicht zu sehr vom Original zu entfernen und sie trotzdem angemessen an unsere Realität anzupassen. Dabei werden sie um einiges flauschiger und weicher, als man sie aus den Spielen in Erinnerung hat. Das schadet dem Film nicht im Geringsten, denn er lebt stark vom Niedlichkeitsfaktor von Pikachu und Co.
Die Animationen der Pokémon sind vor allem in der ersten Hälfte des Filmes großartig gelungen. Hier fügen sie sich nahtlos in das ultrarealistische Setting von Rhyme City ein. Immer wieder entdeckt man altbekannte Taschenmonster, die sich halb versteckt durchs Bild schleichen, im Hintergrund vorbeifliegen oder sich im Müll verstecken.
Meisterdetektiv Pikachu bleibt nicht nur bei der oberflächlichen Darstellung der Pokémon. Denn jede Art hat seine typischen Charakterzüge, wie man sie aus den Spielen kennt, im Film behalten. Da gibt es die verspielten Äffchen Griffel, die sich wild durch die Stadt hangeln und gerne Streiche spielen. Oder das kleine Panda-Pokémon Pam-Pam, das sich scheu im Bambusgebüsch der Stadt versteckt. Vor allem Lucys Enton verhält sich mit seiner Dauermigräne haargenau so apathisch, wie man es aus den Spielen kennt.
In jedem einzelnen Detail merkt man, dass der Film ein Liebesbeweis an das Franchise ist. Egal, ob es das Relaxo ist, das im Hintergrund einer Szene mitten auf der Kreuzung ein Nickerchen hält. Oder der absolut großartige Soundtrack, der immer wieder an die Musik der Spiele der ersten Generation erinnert. Der Film macht jeden Pokémon-Fan glücklich.
Größte Schwäche des Films ist der Plot. Denn er ist sehr voraussehbar und vor allem der Antagonist (Bill Nighy) bleibt sehr eindimensional. Hier wurde schauspielerisches Talent verschwendet. Andererseits könnte genau diese simple Handlung als weitere Hommage an die Pokémon-Spiele gewertet werden. Denn auch hier sind die Bösewichte meistens gnadenlos überzogen und agieren selten nachvollziehbar.
Den menschlichen Nebencharakteren fehlt es ebenso an Tiefe. Vor allem Reporterin Lucy schafft es nicht zu überzeugen. Ihr Charakter ist unausgegoren und inkonsistent. Vielleicht auch deswegen kommt Kathryn Newton bis zum Ende nicht richtig in ihre Rolle rein, so dass man den Eindruck hat, dass sie zwei unterschiedliche Charaktere spielt.
Der Film lebt vor allem von seinem Taschenmonster-Hauptcharakter Pikachu. Denn das schlagfertige Elektro-Pokemon hat es vor allem verbal faustdick hinter seinen langen Ohren. Und wenn es ihm dann doch mal die Sprache verschlägt, macht es das mit seinem Niedlichkeitsfaktor mehr als doppelt wett.
Ryan Reynolds ist im englischen Original der perfekte Cast als Voice-Actor für Pikachu. Denn der Kontrast zwischen seiner tiefen Stimme und dem putzigen Wesen des gelben Nager-Pokémon macht die Komik vieler Szenen des Films aus. Vor allem, wenn Pikachu in einem Augenblick noch raue Macho-Sprüche bringt und im nächsten mit großen Kulleraugen Mitleid will, muss man den kleinen Meisterdetektiv ins Herz schließen.
Pokémon: Meisterdetektiv Pikachu hat alles, was große und kleine Pokémon-Fans freut. Süße Pokémon, viele Eastereggs und großartiges Voiceacting von Ryan Reynolds. Respekt gebührt aber vor allem der Live-Action-Umsetzung. Denn die Pokémon derart niedlich und lebensecht zu animieren beweist großes Talent und ein tiefes Verständnis der Ausgangsmaterie.
Anders als gescheiterte Projekte wie Warcraft hat Meisterdetektiv Pikachu so viele Referenzen an sein Ausgangsmaterial integriert wie möglich. Und damit hat es das geschafft, woran bisher so viele Realverfilmungen von Videospielen gescheitert sind – es ist ein guter Film geworden.
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Fotos: © 2019 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC. AND LEGENDARY
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.