Endlich gibt es ein neues Anno – nach futuristischen Vorgängern kehrt Anno 1800 zurück zur alten Erfolgsformel, in die Vergangenheit. Das tut der Franchise gut. Was den neuesten Ableger auszeichnet? Lest hier unser Review.
17. April 2019: Anno ist endlich zurück. Nachdem viele Kritiken zum letzten Teil eher vernichtend waren, hat das Aufbaustrategiespiel von Publisher Ubisoft und Entwickler Blue Byte zurück zu seinen Ursprüngen gefunden. Denn Anno 1800 katapultiert die Spieler zurück in die Vergangenheit. Und damit landen wir schnurstracks in den aufregenden Zeiten der industriellen Revolution.
Hier fliegen keine spacigen Raumschiffe mehr wie in Anno 2070 oder Anno 2205. Stattdessen verkehrt die Anno-Bevölkerung großteils per Kutsche oder Zug. Das 19. Jahrhundert ist eine Zeit des rasanten Fortschrittes in Industrie, Wissenschaft und Politik. Große Fabriken und Maschinen entstehen, Monarchen werden gestürzt. Inmitten dieser Umbruchszeit setzt das Spiel ein. Dabei gilt es in mehreren Modi, die Welt (oder zumindest eine Menge Inseln) zu erobern und ein erfolgreiches Handelsunternehmen zu gründen.
Die Helden der Freizeit haben das Spiel ausgiebig getestet. Hier kannst du übrigens auch einen Test zum gelungenen Anno 1800 Brettspiel nachlesen.
Wie bei allen Annos wird uns eine kleine Insel zur Verfügung gestellt, die wir zum wirtschaftlichen Erfolg führen sollen.
Wir sind das älteste Kind eines erfolgreichen britischen Händlers und Schiffbauers. Doch unser Vater wird zu Unrecht des Verrats an der britischen Krone bezichtigt. Es liegt also an uns, den Namen der Familie wieder reinzuwaschen. Dafür müssen wir ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen und die Unschuld unseres Vaters beweisen. Wäre da nicht unser hinterlistiger Onkel, der mit Gewalt sämtliche unserer Unternehmungen zu torpedieren versucht.
Im Release-Trailer kannst du schon mal erahnen, was dich erwartet:
In der Kampagne liegt leider die große Schwäche von Anno 1800. Im Gegensatz zu seinen Vorgängerteilen ist die Story viel zu kurz. Denn nicht länger gibt es mehrere Szenarien mit unterschiedlichen Maps. Man beschränkt sich auf 2 Karten, die der alten und der neuen Welt. Zwischen ihnen springt man immer wieder hin und her. Trotzdem macht es Freude die eigenen Inseln gedeihen zu sehen und zu erleben, wie die Bevölkerung Stufe um Stufe aufsteigt.
Hier liegt aber das eigentliche Problem der Hauptgeschichte. Denn man muss als Spieler die Bevölkerung nicht bis zur letzten Stufe ausbauen, um die Kampagne abzuschließen. Dabei bringen gerade diese letzten Stufen unglaubliche Veränderungen. Sie führen grundlegend neue Spielmechaniken wie Elektrizität oder die Eisenbahn ein. Es ist sehr schade, dass hier soviel Potential verschwendet wurde. Nichtsdestotrotz ist die Geschichte in sich geschlossen und wohldurchdacht.
Egal, ob in der Hauptkampagne, im Endlos-Modus, im Online-Multiplayer oder im nachgelieferten Koop-Modus, Anno 1800 hat im Kern die gleichen Grundmechaniken wie seine Vorgänger. Denn nach wie vor ist es das erklärte Ziel, eine erfolgreiche Zivilisation aufzubauen.
Die Spieler werden deshalb mit der Entscheidungsautorität über eine kleine Insel ausgestattet. Die bietet unterschiedliche, aber begrenzte Rohstoffe. Deswegen müssen wir klug mit ihnen haushalten, während wir versuchen unsere Bevölkerung zu vergrößern und die Balance zwischen Instandhaltungskosten und Steuereinnahmen im Auge zu behalten. Sinken die Zahlen zu stark in den roten Minusbereich, schrumpfen unsere Ersparnisse rasant. Damit stehen wir schneller als wir uns versehen vor der Pleite.
Gleichzeitig wollen die Bedürfnisse unserer Bürger und Bürgerinnen befriedigt werden. Anfangs geben sie sich mit etwas Fisch, Kleidung und Alkohol zufrieden. Doch mit steigender Bildung (verteilt auf fünf Bevölkerungsstufen) kommen luxuriösere Wünsche. Erst fordern die Untertanen Seife, dann Kirchen und immer mehr. Werden ihre Forderungen nicht erfüllt, sinkt der Zufriedenheitswert und die Steuereinnahmen schwinden dahin.
Aber hier zeigt sich eine Innovation von Anno 1800. Denn das Jahrhundert, in dem es spielt, ist nicht nur von industriellem Fortschritt, sondern auch bürgerliche Revolutionen geprägt. Bei großer Unzufriedenheit marschieren daher auch in der Anno-Welt ganze Scharen an wütenden Protestlern durch die Straßen. Sie brüllen Parolen und schwenken große Schilder.
Ein wirksames Gegenmittel bietet da eine weitere Neuerung des 19. Jahrhunderts: Die freie Presse. Denn wie könnten wir Spieler unser Volk besser zähmen, als mit ein paar positiven Berichten darüber, wie toll und großartig es allen geht?
Anno 1800 greift dafür tief in die Trickkiste von Tropico-Diktatoren und erlaubt es den Spielern, Propaganda zu streuen. Per bezahlter Anzeige in der monatlichen Zeitung unseres kleinen Inselstaates lässt sich unsere Population von vielem überzeugen. Zum Beispiel, dass sie spendabler mit den Steuern sein sollte. Oder dass sie nicht so übelgelaunt sein braucht. Natürlich freut das den Chefredakteur des unabhängigen Mediums weniger. Aber schließlich tun wir das zum Wohl des Volkes, nicht wahr?
Derart motivierte Bürger leisten klaglos ihren Dienst für die Zivilisation. Praktisch also, dass wir in typischer Manier des 19. Jahrhunderts unsere Arbeiter zu endlosen Schichten in den Minen verdonnern können. Denn im neuen Anno 1800 kann man zum ersten Mal die Produktivitätsrate modifizieren. Und das gilt für die meisten der vielen unterschiedlichen Farmen, Fabriken und Minen.
Dreht man die Produktivität herunter, freut das die Arbeiter. Aber das zahlt sich in den wenigsten Fällen aus. Viel öfter drehen wir die Produktivität hoch, damit sie schneller neue Ziegelsteine, Eisen oder Kohle generieren. Denn wir brauchen Fortschritt, und zwar schnell!
Nützlich sind da auch die neuen Handelskammern. Denn die können, ähnlich wie die Archen in Anno 2070, mit Items ausgerüstet werden. Solche Items sorgen für unterschiedliche Boni in ihrer näheren Umgebung. Wie etwa eine gesteigerte Produktivität oder besondere Boden-Fertilität.
Ein großer und wichtiger Aspekt von Anno war immer schon der Handel. In Anno 1800 können wir wieder mit unseren Inseln Handel treiben. Mit der richtigen Handelslizenz kann man da bei den ganz großen Fischen mitschwimmen (und -handeln). Dabei müssen wir, wie schon in Vorgängerteilen, versuchen gute Beziehungen mit unseren Handelspartnern aufrechtzuerhalten – sonst droht Krieg. Und der wird auch in Anno 1800 auf hoher See ausgefochten. Dafür steht uns eine ganze Armada an unterschiedlichen Schiffstypen zur Verfügung. Die sind mit den unterschiedlichsten Waffen wie Mortaren oder Torpedos ausgestattet.
Weiters gibt es die Möglichkeit, Anteile am eigenen Handels-Unternehmen zu verkaufen oder von Handelspartnern zu erkaufen. Dabei können sogar ganze Inseln von unseren Konkurrenten übernommen werden. Das entpuppt sich aber als teuer und selten lohnenswert.
Die Schönheit vom neuen Anno zeigt sich vor allem auf hoher See. Stundenlang könnte man im Kino-Modus den eigenen Schiffen dabei zusehen, wie sie über dunkelblaues Wasser an malerischen Stränden vorbeischippern.
Ein bisschen wie Columbus entdecken wir nach und nach Inseln, die sich aus dem Nebel der Karte herausschälen. Neben wunderschönen Küstenstrichen und rauen Bergklippen interessieren uns natürlich primär die Rohstoffe, die diese Oasen uns bieten. Dabei beschränkt sich das neue Anno nicht nur auf nordamerikanische Inseln, sondern entführt die Spieler auch auf tropische südamerikanische Inseln.
Um die zu kolonisieren, muss oft zu gröberen Geschützen gegriffen werden. Oft hilft nur die Feuerkraft unserer Schiffskanonen um den Inseln zu verdeutlichen, dass wir Anspruch auf ihre Rohstoffe haben.
Eine weitere positive Neuerung bei Anno 1800 ist das Attraktivitätslevel der Stadt. Es wird jetzt komfortabel im eigenen Fenster angezeigt und in unterschiedliche Aspekte aufgeschlüsselt. Das ist vor allem im Hinblick auf die Monumente und Weltausstellungen nützlich.
Verglichen mit den Anno-Vorgängern ist das gesamte Interface um einiges übersichtlicher. Vor allem Neueinsteiger ins Franchise dürfte das freuen. Trotzdem ploppen oft zu viele Fenster gleichzeitig auf. Wir fühlten uns davon leicht überfordert – das Problem gab es aber auch schon in den Vorgängerteilen. Praktisch ist auch, dass die Pause- und Vorspultasten endlich prominenter im HUD vertreten sind.
Die wichtigste Neuerung dürfte aber die „Bewegen“-Funktion für Gebäude sein. Mit einem einfachen Klick kann man jetzt bereits errichtete Gebäude bewegen, egal ob Farmer-Haus oder Monument. Diese Funktion könnte aber für kontroverse Diskussionen sorgen. Denn einerseits ist sie unglaublich nützlich zum ästhetischeren Planen der Städte. Aber andererseits macht es das Spiel um ein Vielfaches leichter, weil man nicht mehr so bedacht beim Planen der Städte vorgehen muss.
Anno 1800 ist auf alle Fälle ein großer Fortschritt im Vergleich zu seinen Vorgängern.
Das Interface präsentiert sich wesentlich intuitiver und benutzerfreundlicher. Gleichzeitig hält das Aufbauspiel an dem fest, was die Reihe so erfolgreich macht. Denn seine Grundmechaniken, wie der Handel, das Aufbauen oder auch das Balancieren zwischen Instandhaltung und Steuereinnahmen sind gleich geblieben. Und auch das Entdecken und Erschließen neuer Inseln bleibt ähnlich aufregend. Der einzige Wehmutstropfen ist die Kampagne. Sie schöpft das Potential des Spiels nicht voll aus. Trotzdem ist Anno 1800 das wohl schönste und immersivste Aufbaustrategiespiel bis dato.
Dann schau in unserer Spieler-Rubrik vorbei. Hier gibt es brandheiße Gaming-Empfehlungen aus unserer Redaktion.
Bilder: Screenshots von heldenderfreizeit.com
Die Journalistin ist bei Videospiel-Tests und Wien Guides voll in ihrem Element. Seit 2021 verstärkt sie die Redaktion des KURIER.