Mit zwei Jahren Verspätung erscheint morgen Mogli: Legende des Dschungels von Andy Serkis – allerdings nur auf Netflix statt im Kino. Warum sich das Warten nicht gelohnt hat.
In einer Zeit, in der Filme mit Vorliebe einen Grundton anstreben, der von düster bis beklemmend reicht, in der Spaß und Unterhaltung oft eine Sache der 90er oder von Marvel sind, sollte sich eine neue Runde von “Das Dschungelbuch”-Adaptionen eigentlich gut machen. Die Geschichten des englischen Autors Rudyard Kipling, die vom Waisenkind Mogli handeln, der unter Wölfen im indischen Dschungel aufwächst, waren nie leichter Tobak.
Doch wie so oft kam Disney daher und schob es mit einer jugendgerechten Gewaltentfernung ein paar fetzigen Musiknummern in die Kiddie-Ecke. Was freilich auch im Publikumshit von 1967 mündete: Jenem Zeichentrickfilm, den heute noch viele mit wohligen Kindheitserinnerungen verbinden. Der aber mit den Büchern nicht mehr allzu viel gemein hat.
Mit dem Trend der letzten 10-15 Jahre, große Action- und Fantasyfilme nur mehr mit einer gehörigen Prise Seriosität oder zumindest einer Grau-in-Grau gehaltenen Leinwandpalette umzusetzen, durfte auch eine Neuinterpretation des Dschungelbuchs nicht fehlen. Diesmal stilistisch näher am Ausgangsmaterial. Den Anfang machte Disney selber 2016, mit seinem Zuschauer- und Kritikerhit Das Dschungelbuch. Zeitgleich sollte die Version von Herr-der-Ringe- und Planet-der-Affen-Star Andy Serkis Mogli: Legende des Dschungels starten. Doch daraus wurde nichts. Trotz großer Namen verschob das ursprüngliche Studio Warner Bros den Starttermin immer wieder bis er schließlich bei Netflix landete. Ab 7. Dezember ist er dort zu sehen. Hat sich das Warten gelohnt? Nicht wirklich.
Die Geschichte ist soweit bekannt: Der Waisenjunge Mogli (Rohan Chand) wächst bei den Wölfen im Dschungel auf, nachdem seine Eltern vom Tiger Shir Khan (Benedict Cumberbatch) getötet wurden. Shir Khan, der regelmäßig mit den Gesetzen des Dschungels bricht und Menschen aus purer Freude daran jagt und tötet, möchte sein Werk noch mit Mogli beenden, was Panther Bagheera (Christian Bale) und Bär Balu (Andy Serkis) verhindern wollen. Sie trainieren den Jungen. Doch es wird bald klar, dass für Mogli nichts anderes übrig bleiben wird als zu den Menschen zu gehen. Dort trifft er auf den Jäger John Lockwood (Matthew Rhys), der sich ebenfalls als Bedrohung für den Dschungel entpuppt. Mogli muss als Kind beider Welten nun selber sein Schicksal, und wie die Schlange Kaa (Cate Blanchett) ihm prophezeit, das Schicksal des Dschungels in die Hand nehmen, um seine Widersacher zu besiegen.
Ein Film wie Mogli ist der perfekte Beweis dafür, dass auch ein wiederholter Schuss nicht immer ins Ziel trifft. Statt der Geschichte etwas Neues beizufügen oder wirklich nahe an das Originalbuch heranzukommen, erzählt der Streifen die selbe alte Geschichte – mit erwartbaren Abweichungen. Außerdem hinkt er der Disney-Verfilmung nicht nur in punkto Veröffentlichungsdatum, sondern auch in Sachen Qualität hinterher. Jon Favreau bewies als Regisseur der 2016er Verfilmung Händchen und Gespür und gab dem Film einen klaren Stil. Serkis Vorstellung von einer düsteren Geschichte ist es, die Tiere im halb verwesten Zustand abzubilden.
Außerdem wirken die Animationen, die das geistige Produkt des weltweit führenden Motion-Capture-Schauspielers sind, peinlich fehlentwickelt und wie die fleischgewordenen Cartoon-Charaktere einer Kinderserie. Falsche Proportionen, verquere Winkel und schlechte Animationsergebnisse lassen die Tiere überzeichnet wirken und nicht wie ein natürlicher Teil der Handlung. Außerdem kann sich Serkis nie entscheiden, ob er nun fröhliche Bilder zeigt wie im Dorf, das an einen Werbeclip für Indien erinnert, oder finster gehaltene Actionszenen, die die Dramatik der Lage verdeutlichen wollen. Der Film greift viele Ideen auf, kann sie aber nicht konsequent durchziehen.
Die größte Enttäuschung ist aber, dass Mogli in die alt hergebrachte „Auserwählten“ Rolle gedrängt wird. Weil er als Mensch nicht dem Gesetz des Dschungels unterliegt, kann er diesen vor seinem Untergang in einer Welt retten, die nicht mehr nach alten starren Regeln funktioniert, aus denen sich die Tiere aber nicht befreien können. Das macht inhaltlich wenig her und verliert auch schnell an Spannung. Und wenn Kaa/Cate Blanchett zu Beginn im Herr-der-Ringe-Galadriel-Stil über „Licht und Dunkelheit“ in der Geschichte des Dschungels schwadroniert, muss man als Zuschauer auch eher peinlich berührt lächeln. Positiv zu erwähnen ist die gute Vorstellung von Hauptdarsteller Rohan Chand als Mogli und ein paar starke Szenen, wie jene, bei der sich das Wasser durch das Blut des Tigers rot färbt.
Mogli: Legende des Dschungels ist nicht das geworden, was Serkis mit seinem Film erreichen wollte. Statt eine Kipling-getreue Adaption ist es ein Actionepos auf Sparflamme mit kleingeistiger Inszenierung und bedürftig geratener Animation. Anstatt einen einheitlichen Stil zu entwickeln, schmeißt der Regisseur viele Ideen gegen die Leinwand, nur um zu sehen, was hängen bleibt. Das trübt die Spannung und der Film ist am Ende auch schnell wieder vergessen.
Wenn ihr einen besseren Film sehen wollt, der es bei uns nicht ins Kino, sondern nur auf Netflix geschafft hat, können wir euch diesen hier empfehlen. Oder ihr stöbert in unserem Seher-Bereich. Da verwöhnen wir euch regelmäßig mit neuen Reviews.
Aufmacherfoto: (c) Netflix
Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.