6 kurze Coen-Western als ein Netflix-Film. Funktioniert das? The Ballad of Buster Scruggs ist mal Drama, mal Klamauk. Das letzte Wort hat immer der Tod. Alle Kapitel im Review und unser Fazit.
17. November 2018: Das Leben im Wilden Westen kann eine harte, qualvolle Sache sein. Das Sterben geht da schon mal vergleichsweise schmerzlos, überraschend und unkompliziert von der Hand. In The Ballad of Buster Scruggs werden sechs bitterböse Western-Märchen zu einem Film zusammengeknüpft, seit 15.11. auf Netflix zu sehen. Präsentiert wird uns das Ganze im Vorspann ganz old-school als verstaubter Buchschinken, in dem wir jeweils das Bild einer Szene und die erste und letzte Textseite jedes Kapitels zu sehen bekommen.
Die Regie-Bros. Ethan und Joel Coen, die wir für Filme wie No Country for Old Men, Fargo oder The Big Lebowski kennen und lieben gelernt haben, kramten dafür tief im Archiv. Sie beglücken uns mit sechs ihrer Kurzgeschichten aus den letzten 25 Jahren. Zuerst als Mini-Serie gedacht wurden sie nun doch in einen Filmeinband gebunden. Zu tun haben die Geschichten eigentlich nichts miteinander und sind auch vom Stil höchst unterschiedlich. Als zusammenhaltender Kleber fungieren lediglich der Schauplatz (Wilder Westen) und die über allem schwebende, unsichtbare Hauptfigur (der Tod).
Buster Scruggs (Tim Blake Nelson) reitet auf seinem Pferd Dan durch die Landschaft, trällert fröhliche Lieder, gibt ständig schlaue Weisheiten von sich und legt gut gelaunt alle um, die sich mit seiner Art nicht anfreunden können. Und das sind ziemlich viele – verständlicherweise. Mit seinem knallweißen Outfit wirkt er inmitten der dreckig, verstaubten Gestalten fehl am Platz, fast so wie Marty McFly mit seinem lächerlichen Cowboy-Kostüm in Zurück in die Zukunft 3. Bis endlich einer im blitzsauber polierten schwarzen Gewand daherkommt, der ihm in Sachen Schuss- und Gesangstalent das “Cold Water” reichen kann.
Kritik: Ein Western-Kabarett, das ein bisschen wirkt wie eine Mischung aus Tarantino- und Monty-Phyton-Film. Brutal, absurd und das Lustigste aller Kapitel. Vorausgesetzt man kann mit diesem besonderen Humor etwas anfangen.
Ein Cowboy (James Franco) hat ständig Glück im Unglück – oder umgekehrt. Er vermasselt einen Banküberfall, kommt mit dem Leben davon, doch der Banker überwältigt ihn. Er landet am Galgen, wird von Indianern, die seine Richter killen, vor dem Tod bewahrt, aber am Strick hängen gelassen. Ein Mann mit Kuhherde rettet ihn, aber …
Kritik: Nicht ganz so schräg und brutal, fügt sich Near Algodonos vom Ton an das erste Kapitel an. Kann mit einem tollen Franco-Zitat/Schlusspointe punkten.
Liam Neeson und Harry Melling touren als fahrendes Zirkus-Gespann von Dorf zu Dorf. Neeson ist Schausteller, Melling seine Attraktion, der als arm- und beinloser Mister Harrison Shakespeare-Stücke, Bibelgeschichten und Lincoln Reden vorträgt. Verbindet die beiden Männer, die keine Worte miteinander wechseln, nur eine Zweckgemeinschaft oder auch eine Freundschaft? Als die Einnahmen ausbleiben und ein rechnendes Huhn Harrison die Show stiehlt, wird diese Frage mit brutaler Klarheit beantwortet.
Kritik: Ganz anders als die Startkapitel ist Meal Ticket melancholisch, traurig und kalt. Neeson in Höchstform sagt fast nichts, aber seine Blicke sprechen Bände.
Musikstar Tom Waits spielt einen alten Goldschürfer, der in einem wunderschönen, naturbelassenen Tal einsam nach einer Goldader gräbt. Er verfolgt sein Ziel mit viel Geduld, Bessessenheit aber nicht so gierig, wie man es von seinesgleichen erwarten könnte, was sich in einer wichtigen Szene mit einer Eule zeigt. Aber nicht jeder tickt so wie er.
Kritik: Beeindruckende, fast kitschige Naturaufnahmen in einer sehr simplen gestrickten Story. Ein Mann und eine Mission. Und ein Thema mit aktueller Brisanz. Die Gier des Menschen und der Umgang mit der Umwelt.
Die junge, schüchterne Alice Longabaugh (Zoe Kazan) pilgert mit einer Karawane nach Oregon in eine unsichere Zukunft. Ihr Bruder stirbt am Weg an Cholera und hat ihr nur unausgereifte Lebenspläne und einen überbezahlten Hilfsburschen hinterlassen. Billy Knapp (Bill Heck) will ihr aus der Patsche helfen und sich selber häuslich niederlassen. Eine Frage, die er ihr stellt, könnte das Problem lösen.
Kritik: Mitunter etwas langatmig erzählt (das wäre durchaus schneller gegangen, passt aber gut zum Tross der Karawane) entfaltet sich sogar eine zerbrechliche kleine Romanze. Das Ende fällt dramatisch aus.
Ein Trapper, ein Franzose und eine religiöse alte Dame reiben sich bei einer Kutschenfahrt ihre Weltanschauungen unter die Nase. Am Dach wird eine Leiche transportiert. Dabei erkennen sie nicht, wo sie der Wagen, der nie einen Zwischenstopp einlegt, tatsächlich hinführt und wer ihre zwei Begleiter sind.
Kritik: Die Story spielt sich nur in einer Kutsche ab, ohne Blick nach draußen – wie in einem Kammerspiel. Ein bisschen schaurig und mythisch. Der Funke will nicht ganz überspringen.
Von vielen Kritikern gefeiert, ist The Ballad of Buster Scruggs sicher nicht jedermanns Sache. Dafür sind der schwarze Humor und die sehr besondere Erzählweise der Coen-Brüder zu speziell, die erzählten Geschichten zu unterschiedlich. Die tollen Kameraaufnahmen von Bruno Delbonnel (Die fabelhafte Welt der Amélie) und der klassische Western-Sound mit den schönen Balladen sind ein Augen- und Ohrenschmaus. Bei den Figuren werden Klischees gekonnt überzeichnet. Am Unterhaltsamsten sind zwar red- und singfreudige Charaktere wie Buster Scruggs am Spannendsten aber wortkarge wie der Schausteller (Liam Neeson).
Mit The Ballad of Buster Scruggs verhält es sich tatsächlich wie mit einem Märchenbuch. Viele Geschichten wirken als hätte man sie schon oft gehört. Jede hat seine eigene Moral und Botschaft. Der Weg bis zur Schlusspointe ist nicht immer so spannend, wie die Schlusspointe selbst. Da der Tod aber oft sehr unvermittelt daherkommt und selten da lauert, wo man ihn vermutet, wird man auch mal überrascht. Leider fällt das letzte Kapitel etwas ab und ein roter Faden, der die sechs Geschichten miteinander verbindet, hätte dem Ganzen noch das gewisse Etwas gegeben. Auch fehlt es manchem Charakter an überraschenden Facetten und Tiefe. Unterm Strich aber gute Unterhaltung etwas abseits vom Mainstream.
Ebenfalls ans Herz legen können wir euch aktuell auch die Netflix-Serie Kominsky Method. Hier unser Review! (ak)
Hier unsere Netflix-Reviews im Überblick:
Auslöschung
Bird-Box
Cargo
Die Woche
How It Ends
Mogli
Outlaw King
Private Life
Sierra Burgess Is A Loser
The Christmas Chronicles
To All The Boys I’ve Loved Before
Triple Frontier
Alle Fotos: (c) Netflix
Der Chefredakteur der Helden der Freizeit hat das Onlinemagazin 2016 ins Leben gerufen und ist seit 2000 als Sportjournalist im Einsatz. Bei heldenderfreizeit.com ist er spezialisiert auf actiongeladene Outdoor-Aktivitäten, Ausflüge, Videos, Spiele, Filme, Serien und Social Media.