Outlaw King hätte ein Hit werden können: Starker Stoff, authentische Mittelalter-Stimmung, schöne Landschaften – doch Story & Figuren fehlt die Tiefe an allen Schildecken und Schwertenden.
von Christoph König
8. November 2018: Wenn als vermeintlich größter “Aufreger” eines Filmes hängen bleibt, dass in einem sehr unspektakulären Moment kurz auch der kleine Chris von Chris Pine in der schönen Landschaft herumbaumelt, dann muss etwas falsch gelaufen sein. Vor allem, wenn es sich um ein episches, blutiges Historiendrama handelt, das eigentlich alle Zutaten für ein großes Filmspektakel mitbringt.
Okay, so schlecht ist Outlaw King nicht – so richtig gut aber leider auch nicht. Warum erfahrt ihr in unserer Filmkritik:
Am 9. November startet Outlaw King auf Netflix. Nachdem Regisseur David Mackenzie bei der Premiere in Toronto im September viel Kritik einstecken musste, straffte er seinen Streifen für Netflix nochmal um 20 Minuten. In der Kürze liegt die Würze? Leider nein. Denn während die eigentlich entbehrliche “Ich zeige meinen Penis kurz bei einem Bad”-Szene dem Cut beispielsweise nicht zum Opfer fiel, bleiben die Charaktere leider ebenso seicht, wie der See in dem Pine dabei steht.
Schade, denn der Stoff, der in den 117 Spielminuten etwas uninspiriert erzählt wird, hätte genügend Zunder für einen großen Netflix-Hit hergegeben. Angefangen von der Handlung, die direkt am 5fach Oscar-prämierten Braveheart anschließt. Nach Mel Gibson als William Wallace ist es nun Chris Pine als Robert the Bruce, der für die Schotten in die Schlacht gegen die englische Tyrannei durch König Eduard I. (“Hammer of the Scots”) und seinem halbstarken Sohn, den Prince of Wales zieht.
Die Handlung ist schnell erklärt: Eduard zwingt 1306 die schottischen Lords sich ihm zu unterwerfen. Darunter Robert the Bruce, der Eduards Enkelin Elizabeth de Burgh heiraten muss. Wallace, der sich Eduard nicht beugen will, wird gelyncht. Worauf sich Robert the Bruce zum Schottischen König krönen lässt, Eduard entgegentritt und versucht so viele Lords wie möglich auf seine Seite zu ziehen. Doch bei einem Überraschungsangriff werden seine Truppen fast vollständig aufgerieben. Seine Frau gerät auf der Flucht in Gefangenschaft. Er kann sich gerade noch in den Norden retten und plant von der dort den Gegenschlag.
Outlaw King hätte großartig werden können. Tatsächlich ist er weit näher an historischen Fakten wie Braveheart, der sich William Wallace zurechtgebogen hat, wie er wollte und mit Kilt (gab es tatsächlich erst 300 Jahre später) und blauer Schminke (so lief das reale Vorbild nie in die Schlacht) reichlich dick auftrug. Gleich in den ersten Minuten ist man angenehm angetan. Statt großem Hollywood-Tamtam fühlt man sich in die recht einfache und vor allem dreckige Welt des Mittelalters versetzt. Streicherklänge wie bei Game of Thrones, von den Filmhelden gesungene Volkslieder und der wunderbare schottische Dialekt (wir empfehlen die Sichtung im englischen Original) tragen das ihre zur authentischen Stimmung bei.
Zeremonien – gleich eine Hochzeit beispielsweise zu Beginn – werden mit interessanten Bildern in Szene gesetzt. Immer wieder erstaunt der Film mit tollen Kamerafahrten und lässt statt unnötiger Effekte die wunderschönen Landschaften der Insel für sich sprechen. Was braucht es auch CGI, wenn die Drehorte so reich an mächtigen Burgen, Stränden und Bergen sind. Und die aufregende Geschichte von Robert the Bruce hätte gereicht, um für eine ganze Serie tollen Stoff zu liefern. Der Trailer hatte uns richtig Gusto gemacht:
Im Gegensatz zum omnipräsenten Schlamm lassen Story und Charaktere leider die nötige Tiefe vermissen. Wer war nochmal der mit dem besonders buschigen Bart? Nebencharaktere kommen so wenig zur Geltung, dass man sich kaum an sie erinnert. Dementsprechend kalt lässt einen der brutale Tod eines solchen. Zumindest ein wenig Facetten darf Florence Pugh als Elizabeth de Burgh zeigen. Chris Pine wäre eigentlich eine gute Besetzung als The Bruce, seiner Rolle fehlen aber leider die Ecken und Kanten an allen Schildecken und Schwertenden. Schlussendlich ist er einfach der noble Rebell. Doch wo sind die inneren Kämpfe? Wo die Emotionen? Und dann passt manches an an seinem Charakter nicht zusammen. Zuerst vollzieht er in einem Anfall von Ritterlichkeit die Hochzeitsnacht mit seiner Frau nicht, um ihr etwas mehr Zeit zu geben, dann sticht er nach einem kurzen Dialog einen Gegenspielers ohne Gefühlsregung mit einem Dolch ab.
Ebenso wenig Emotionen weckt beim Zuseher die Story. Alles verläuft viel zu geradlinig. Spannende zusätzliche Handlungsstränge fehlen fast vollkommen. Ausgenommen für die Handlung eher unbedeutende Abstecher – wie der eines Lords, der kurz einmal alles niedermetzelt, um seine alte Burg zurück zu erobern. Wo sind die Intrigen, die bei Allianzen und Feindschaften zwischen den Lords aufgelegt sind und sicher auch historisch so stattgefunden haben? Wo ist das Leid des geschlagenen Robert, der erst durch brutale Rückschläge zum großen Helden wachsen kann? Und was hilft eine blutig und spektakulär in Szene gesetzte Schlussschlacht, wenn die Engländer dabei so blöd ins offene Messer bzw. die aufgestellten Speerfallen rennen, dass es in Sachen Plumpheit nur vom traurigen Auftreten des Antagonisten, dem Prinzen, übertroffen wird?
Outlaw King beginnt recht unterhaltsam wird dann leider schnell ziemlich öde. Historisch korrekter als beispielsweise Braveheart fehlt es der Story an einem mitreißenden Spannungsbogen und Dramatik. Der Cast ist solide, kann seine Stärken bei so flachen Rollen aber kaum ausspielen.
Tolle Landschaften, Kamerafahrten und so manche gut inszenierte Schlachtszene zeigen, was möglich gewesen wäre. Leider bleibt Outlaw King ein unfertig wirkender Fleckerlteppich aus Episoden, der sich nie zu einem runden packenden Ganzen ergänzt. Schade, denn sowohl die Geschichte von Robert the Bruce als auch die angenehm unaufgeregte Inszenierung des Mittelalter-Settings hätten durchaus größeres Potenzial gehabt. Ganz nett für zwischendurch – aber auch nicht mehr.
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Fotos: © Netflix/David Eustace
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