Ein Vater steigt im Iran zum Untersuchungsrichter auf, während seine Töchter immer mehr mit den Protesten sympathisiert. Warum Die Saat des heiligen Feigenbaums trotz seiner an ein westliches Publikum angepassten Handlung begeistert.
Eine Kritik von Susanne Gottlieb, 25. 12. 2024
Als Die Saat des heiligen Feigenbaums bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte, war Regisseur Mohammad Rasulof bereits aus dem Iran geflohen. Er war Anfang Mai aufgrund der Teilnahme des Films am Festival wegen “Verstößen gegen die nationale Sicherheit” zu einer achtjährigen Haftstrafe und Peitschenhieben verurteilt worden. Auch einigen Schauspielern war es anscheinend gelungen, den Iran zu verlassen. Dort gewann der Film auch den Sonderpreis der Jury, den FIPRESCI-Preis, den Preis der Ökumenischen Jury, den Prix François Chalais und den Prix des Cinémas Art et Essai.
Seither dreht der Film auf Festivals weltweit seine Runden und wurde als deutscher Beitrag, da eine deutsche Produktionsbeteiligung stattfand, bei den Oscars eingereicht. Eine nicht unkritisch kommentierte Tatsache. Man warf den deutschen Selektionskommittee kulturelle Aneignung vor. Mit einem Produzenten wäre hier nichts Deutsches an dem Film auszumachen. Gute Chancen kann der Film sich auf jeden Fall ausrechnen. Warum er trotz Schwächen durchaus sehenswert ist, das erfahrt ihr hier.
Jurist Iman (Missagh Zareh) wird in Teheran zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht befördert. Das bedeutet für ihn und seine Familie, Ehefrau Najmeh (Soheila Golestani) und die Töchter Rezvan (Mahsa Rostami) und Sana (Setareh Maleki), zwar ein höheres Gehalt und eine größere Wohnung, aber auch mehr politische Bedrohung. Die politischen Proteste gegen das Regime sind allgegenwärtig. Imans Beförderung basiert allein darauf, dass er einfach Urteile unterschreiben soll, die ihm vorgelegt werden. Außerdem bekommt er eine Waffe, mit der er sich notfalls beschützen soll.
Während Iman sich für seine Karriere mit dem Regime arrangiert und zunehmend misstrauischer und paranoider wird, beobachten Rezvan und Sana die Proteste über ihre Handys. Mutter Najmeh rät zunächst noch, dass sich die Töchter von revolutionären Freunden fernhalten sollten. Doch als Rezvans Freundin Sadaf (Niousha Akhshi) auf der Straße ins Gesicht geschossen wird, helfen Najmeh und ihre Töchter dieser nicht nur. Es treibt die jungen Frauen noch mehr auf die Seite der Demonstrant:innen. Als Imans Waffe verschwindet und er sich sicher ist, dass jemand in der Familie sie genommen hat, eskaliert die Situation.
Einen Film aus dem Iran zu sehen, ist immer wieder ein kleines Wunder. Das meiste, was wir im Westen sehen, muss immerhin heimlich gefilmt werden. Viele Regisseure wie Jafar Panahi oder Nader Saeivar stehen entweder unter Hausarrest, sind inhaftiert oder müssen sich wiederholt mit Repressalien des Staates auseinander setzen. Diese Unterdrückung des iranischen Staates, sowie die inhärente Frauenfeindlichkeit sind die Themen, derer sich Rasulof annimmt. Sein Film beginnt als bedrückendes Psychodrama, das sich mit Themen der politischen und häuslichen Gewalt auseinandersetzt. Doch dabei will Rasulof nicht bleiben. Das Ganze steigert sich immer weiter, hüpft zwischen den Genres und erinnert gegen Ende fast an einen Western-Showdown.
Dabei spielt der Film auch mit den Erwartungen, wer nun wirklich die Waffe genommen hat, und ob hier systematische Paranoia auf tatsächliche Bedrohung trifft. So hält sich trotz der 168 Minuten durchaus eine Spannung aufrecht, auch wenn der Film dazwischen immer wieder einige Haken schlägt, mehr als Vermittler eines Tatsachenbestands agieren will, als wirklich die Handlung voran zu treiben. Das ist vielleicht die größte Kritik, die man an Die Saat des heiligen Feigenbaums üben kann. Sicher, das Widersetzen der Töchter gegenüber dem Vater am Esstisch, in dem sie das Regime kritisieren, hat etwas Kathartisches. Aber es wirkt auch ein bisschen plakativ aufgesetzt. Als hätte Rasulof den Film beizeiten mit Blick auf ein westliches Publikum, das hier klatschen würde, gedreht, und weniger als ein eigenständiges Werk.
Trotzdem muss man Rasulof zugute halten, dass er seine Zuschauer:innen immer wieder daran erinnert, dass hier keine vage Bedrohung im Hintergrund lauert. Er zeigt die Gewalt an den Demonstranten und an den Frauen sogar sehr aktiv. Zwischen den fiktiven Filmszenen sind immer wieder Bilder der politischen Proteste nach dem durch Polizeigewalt herbeigeführten Tod der Iranerin Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 zu sehen. Ebenso hat Editor Andrew Bird echte Internetvideos von Demonstrationen in das Material eingefügt. Man sieht ganz ungefiltert, wie die Behörden diese Proteste mit harter Gewalt zerschlagen.
Seine durchaus actiongeladene, an ein westliches Publikum orientierte “leicht verdaubare” Handlung ist aber vielleicht auch ein Vorteil. Allein durch die Oscarnominierung zeigt sich, dass dies kein Film ist, der in irgendwelchen Festivalnischen hängen bleiben wird. Eine breite Rezeption steht bereits jetzt an, ein filmisches Licht wird auf das Regime geschienen. Und letztendlich ist die nicht versiegende Kommunikation über die Widerstandsbewegung im Iran wohl der wichtigste Aspekt, warum dieser Film erfolgreich sein sollte.
Trotz einer zu an ein westliches Massenpublikum angepassten Handlung begeistert Die heilige Saat des Feigenbaums mit einer zutiefst verstörenden Analyse der Zustände im Iran. Paranoia und Unterdrückung gehen Hand in Hand, ein Ausbruch bleibt oft nur eine Utopie.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.