2024 war wieder einmal voll mit großartiger Literatur. Die Fülle an guten Büchern geht weit über unsere monatlichen Buchtipps hinaus. Deshalb haben wir für euch zusätzlich zu vier ausgewählten und heuer bereits besprochenen Highlights, noch drei, die man gelesen haben muss. Plus das des Jahres von vier unserer Redakteur:innen.
von Peter Huemer, Paula König, Christian Orou, Miriam Usenik und Verena Fink
In der Buchhandlung ist es beim diesjährigen literarischen Angebot schwer nicht jedes Mal mit voller Tasche und leerem Geldbörsl hinauszumarschieren. Manchmal sollte man die Selbstdisziplin aber auch abstreifen und zugreifen. Eine kleine Orientierungshilfe bekommt ihr von uns.
Dieses Jahr haben wir uns bei den Buchtipps etwas weiter über die Grenzen der österreichischen Literatur gewagt. So geschehen mit dem Auftakt zu einem neuen Sci-Fi Franchise des Autorenduos unter dem Pseudonym James S. A. Corey. Wie schon in ihrem neunteiligen The Expanse Epos liefern sie auch in Die Gnade der Götter ein authentisch recherchiertes und dennoch charaktergetriebenes Werk voller philosopher Tiefe und kreativer Action über eine unaufhaltsame Alieninvasion und dem Leben der Menschheit in einer neuen Realität als Nutztiere. Wir sind gespannt, ob auch dieser Stoff später als Serie durchstarten wird.
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Zurück nach Österreich und zu Alle meine Namen von Andreas Jungwirth. In seinem dichten Roman verfolgen wir das gesamte Leben von Johanna, die stets von anderen benannt wird. Ob als Anna, Hanna oder Johnny, verliert sie sich selbst und muss lernen die Windungen des Lebens als eigenständige Person zu navigieren. Selten gelingt es eine so lange Zeitspanne wie jene vom zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart derart kurzweilig und dennoch gehaltvoll zu gestalten. Nuanciert und stets auf den Punkt gebracht, ist dieser Roman eines der größten Highlights des Jahres.
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Elias Hirschl ist ein Meister der Satire. Dabei macht es keinen Unterschied, ob seine Geschichten im realitätsnahen Wahnsinn unserer Welt beginnen (siehe sein Vorgänger Salonfähig), nur um sich immer weiter ins Absurde zu steigern oder ob sie gleich im Absurden ansetzen. Content scheint auf den ersten Blick zu zweiteren zu gehören. Wenn man aber einen Moment innehält und sich unserer Lebenswelt im Netz bewusst wird, scheint das Ganze weniger weit hergegriffen. Und wenn das Buch dann schnell Fahrt aufnimmt, kann man trotzdem die Wahrheit hinter dem Witz in jedem Satz spüren. Die größte Ironie ist natürlich, dass wir das Buch hier zum Teil unserer Online-Top-Liste machen. Immerhin aber ohne Reihung.
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Gewinner des Österreichischen Buchpreises 2024 und das hochverdient! Die Geschichte einer von verbotenen Gefühlen und anderen Problemen ins Exil Getriebenen, die von der Vergangenheit, die sie nicht loslassen kann, eingeholt wird und die folgenreiche Entscheidung trifft, sich dieser Vergangenheit hinzugeben. Unerklärliche Gefühle und Entscheidungen werden hier mit der Erkenntnis, dass man sich neu erfinden müsste, um ihnen zu entwachsen, nachvollziehbar und umso bedeutsamer. Kann man sich tatsächlich von sich selbst lossagen und wenn man es nicht tut, hat man dann überhaupt Macht über die eigenen Entscheidungen? Reinhard Kaiser-Mühlecker versucht sich an einer Annäherung an die Antwort und mehr – der Versuch ist gelungen.
Noch einmal ein Schritt über die Konventionen unserer Buchtipps hinaus. Dieses Mal nicht nur über die Landes- und Sprachgrenzen hinaus, sondern gleich weg von der erzählenden Literatur. Über Freiheit des Historikers Timothy Snyder gehört aber auf jeden Fall in eine Liste der wichtigsten Bücher des Jahres. Nach seinem Buch Über Tyrannei nimmt er sich eines Wortes an, eines Konzeptes, das wir alle glauben, instinktiv zu verstehen und schafft es, den Begriff Freiheit von einer ganz neuen Seite aufzurollen. Ausgehend von den Ansichten verschiedener Philosophen, historischer Ereignisse und Begebenheiten und eigener Erfahrungen baut er den Freiheitsbegriff als etwas auf, das über die Abwesenheit von Unterdrückung hinausgeht. Dabei entwickelt er immer wieder auch literarische Tiefe. Deshalb ist dieses Buch in unserer Liste auch gut aufgehoben
Ein beeindruckendes Debüt legte dieses Jahr Verena Dolovai mit Dorf ohne Franz hin. Das Leben wird einem oft von den Umständen vorgezeichnet. Besonders spürbar ist dies in kleinen Gemeinschaften, mit ihren festen Regeln und Konventionen. Obwohl die Welt groß ist und die nächste Stadt stets in Reichweite, schaffen es nicht viele den Erwartungen ihrer sozialen Umwelt zu entkommen. Ohne es zu merken, fügt man sich in was man gelernt hat. Nicht jeder schafft es, diesen Anforderungen gerecht zu werden und die Strafe, kann gnadenlos sein. Zwei Varianten eines Ausbruches erzählt Verena Dolovai in ihrem Buch – einen unfreiwilligen, weil von der eigenen Natur getriebenen und einen lange brodelnden. Man kann die Zeit nicht zurück drehen und man kann nicht aus der eigenen Haut, aber man kann, wenn man sich dessen bewusst wird, jede Chance ergreifen.
Wenn eine Stadt voll ist, überlaufen von Touristen, wie es in den vergangenen Jahren das Schicksal Hallstatts war, dann muss man sie einfach kopieren, sich eine ganz eigene Touristenfalle bauen. So der Plan der chinesischen Regierung. Und was sich die chinesische Regierung in den Kopf setzt, passiert (leider) relativ oft auch. Davon kriegen die Menschen in Hallstatt länger nichts mit und man weiß während der Lektüre nicht unbedingt, was sie davon halten würden. Sie stören sich doch an den Menschenmassen. Aber wenn man genauer hinsieht, ist der Tourismus, das ständige Eindringen in die eigene Einzigartigkeit, im Leben der Einzelnen oft nicht mehr als eine Unannehmlichkeit. Da sind die täglichen Probleme, der sorgenvolle Blick in die Zukunft und der Umgang mit Verlust, die Dinge, die den Alltag dominieren. Und natürlich der Gedanke daran, ob man nicht alles anders machen hätte können. Da ist ein Klon, ein hypothetisches zweites Ich, gar kein so schlechter Gedanke, auch wenn er ein Hirngespinst bleibt.
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Natürlich hat sich auch unsere restliche Redaktion in tolle Bücher verliebt. Hier das Lieblingsbuch 2024 von vier weiteren Held:innen der Freizeit:
Lieblingsbuch 2024 von Paula König: Auch dieses Jahr kehrte YA-Mystery Autorin Holly Jackson mit einem neuen Werk in die Buchläden zurück. In The Reappearance of Rachel Price verführt sie uns zu einem spannenden Familiendrama auf einem Filmset. Licht, Kamera, Action! Es soll eine True-Crime-Doku über das Verschwinden von Rachel Price, Bels Mutter, gedreht werden. Protagonistin Bel kann es kaum erwarten, dass die Dreharbeiten zu Ende gehen und ihr Leben zur Normalität zurückkehrt. Doch dann geschieht das Unmögliche: Rachel steht plötzlich vor der Tür. Das Buch kommt nicht an Holly Jacksons Debütreihe A Good Girls Guide to Murder heran, aber das heißt gar nichts. Als Young Adult Krimi Autorin bleibt Jackson unschlagbar.
Lieblingsbuch 2024 von Christian Orou: In ihrem Debütroman zeichnet die Autorin die Geschichte eines Mädchens nach, das im Zuge des Jugoslawienkrieges mit ihren Eltern nach Österreich emigrieren muss. Wie viel muss man als Ausländerkind von sich selbst hergeben, um von den anderen akzeptiert zu werden. Was kostet das neue Leben? Sehr trocken und lakonisch erzählt Toxische Pommes eine vielschichtige Geschichte über das Leben als Flüchtling in Österreich, über die Beziehung einer Tochter und ihrem Vater, über das Aufwachsen in einer fremden Kultur. Sie schreibt mit Witz und Poesie, aber auch mit ein wenig Ironie und Wehmut. Mehr zum Buch liest du hier in Peters Buchkritik
Lieblingsbuch 2024 von Verena Fink: Women Living Deliciously von Florence Given ist eine 300 Seitige Umarmung mit sich selbst! Given fordert Flinta* Personen dazu auf, ihre wahre Natur ohne Entschuldigungen zu leben, öfter “Nein” zu sagen und die nörgelnde Stimme im Kopf zu ignorieren. Das Besondere am Buch: jede Seite wurde mit Blümchen und Farben individuell gestaltet und mit wichtigen Botschaften ausgeschmückt: “You don’t have to be a constant ray of fucking sunshine!” Leseempfehlung: schöne Lichter anmachen, Kerzen anzünden, Chappel Roan aufdrehen und ab geht’s in die blumige, feministische Lesereise.
Lieblingsbuch 2024 von Miriam Usenik: Das Kalendermädchen von Sebastian Fitzek ist der neue 400-seitige Psychothriller aus der Feder des deutschen Bestseller-Autors. Olivia Rauch stößt auf der Suche nach den leiblichen Eltern ihrer Adoptivtochter auf eine urbane Legende – dem Kalendermädchen. Dabei handelt es sich um eine junge Frau, die sich in der Weihnachtszeit in ein abgelegenes Waldhäuschen zurückgezogen hat und dort von einem Psychopathen heimgesucht wurde, der sie zwang, einen Adventkalender des Grauens zu öffnen. Wie immer schafft es Fitzek eine düstere Atmosphäre zu kreieren, die von unerwarteten Wendungen gespickt ist.
Alle Buchtipps von Peter auf einen Blick
Fotos: (c) Picus, Septime, C. H. Beck, S. Fischer, Zsolnay, Edition Atelier, Heyne, heldenderfreizeit, Droemer Knaur, Kiepenheuer Witsch, Random House
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.