Das musikalische Joker-Sequel bleibt über lange Strecken ohne wirklichen Fokus und blickt inhaltlich zu oft auf den ersten Teil zurück.
von Susanne Gottlieb, 4. 10. 2024
2019 gelangt Regisseur Todd Phillips mit Joker und Joaquin Phoenix in der Hauptrolle ein Überraschungshit. Die wenigsten hatten gedacht, dass ein weiterer DC-Film aus dem Haus Warner so ein Erfolg sein könnte. Die Zutaten waren einfach: Ein wenig Martin Scorsese evozieren, und den Joker in einen psychisch kranken Mann umwandeln, der sich von der Gesellschaft missverstanden fühlt. Wenn wa ein männliches Publikum anzieht, dann solche Ausgangsbedingungen!
Doch das war nur der Auftakt einer langen Debatte. Kopiert Joker zu gnadenlos Scorseses The King of Comedy, in dem zufälligerweise auch Robert de Niro zu sehen war? Ist er eine Hymne an männliche Incels, die Frauen und die Gesellschaft hassen? Viel popkulturelle und postmoderne Diskussion entstand um den Film. Und das scheint sich auch auf den zweiten Teil ausgewirkt zu haben. Nicht ohne Konsequenzen, wie wir euch verraten werden.
Zwei Jahre, nachdem er live im Fernsehen den Moderator Murray Franklin getötet hat, sitzt Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), auch bekannt als Joker, im Arkham State Hospital ein. Dort ist er im Hochsicherheitstrakt und wird täglich von den Wärtern, darunter Jackie Sullivan (Brendan Gleeson) gehänselt und misshandelt. Doch das Gefängnis allein ist nicht Arthurs größte Sorge. Sein Prozess steht an, und seine Gegner, darunter der Staatsanwalt Harvey Dent (Harry Lawtey), drängen auf die Todesstrafe. Arthurs Anwälting Maryanne Stewart (Catherine Keener) dagegen will Arthur als psychisches, misshandeltes Opfer seiner Mutter präsentieren, inklusive gespaltener Persönlichkeit.
Dieses Pochen auf eine psychische Erkrankung, statt dem Willen einfach die Welt brennen zu sehen, missfällt den noch immer durch die Straßen ziehenden Joker-Jüngern. Es misfällt auch Harleen “Lee” Quinzel (Lady Gaga), einer angeblichen Pyromanin, die Arthur bei Gesangsstunden in Arkham kennen lernt. Zwischen den beiden entspinnt sich sofort eine psychotische, heftige Liebesgeschichte. Als Lee entlassen wird, übernimmt sie die Federführung in der Presse, für einen gerichtlichen Sieg für Arthur zu kämpfen. Doch die Frage ist, will Arthur der Joker sein, und diese ungewollte Liebe der Menschen empfangen, nach der er sich immer gesehnt hat? Oder will er einfach nur Arthur sein?
Diese Sinnsuche bestimmt auch die ganzen zwei Stunden Laufzeit und führt zu überraschend wenig Erkenntnissen. Fans hatten sich vorab gewundert, wie dieser Film denn funktionieren könnte, als Todd Phillips verkündete, dass es ein Musical werden sollte. Nun, die Musik ist weniger das Problem. Viel eher leidet der Film darunter, dass er sich die Kritik des Vorgängers wohl zu sehr zu Herzen genommen hat. Möglichst betucht darauf nicht anzuecken, und sich nicht klar zu wütenden Männern zu positionieren, bleibt am Schluss eher wenig über, was der Film noch zu sagen hätte.
Die Gerichtsverhandlung ist dabei auch weniger ein Auftakt der Handlung, sie dominiert sie. Fast fühlt es sich an, als würde der ganze Film durch die Linse des Vorgängers skizziert werden. Erst im Finale, das in sich selber auch unter den Erwartungen bleibt, bricht die Handlung aus diesem steifen Rahmen aus. Aber hier passiert an sich nichts mehr. Es werden nur mehr Konstellationen und Erwartungen ohne großes Tamtam aufgelöst. So fühlt sich Joker – Folie à deux über weite Strecken wie ein Platzhalter an.
Das führt uns zur zweiten Hauptfigur, immerhin heißt es ja folie à deux. Lady Gaga ist an sich eine Bereicherung für den Film, gibt eine sehr kalkulierte, manipulierende Harley Quinn. Ob das wieder in Richtung männliches Opfer einer Frau geht, sei einmal dahingestellt. Aber Gaga macht Spaß – wenn man sie denn nur lassen würde. Die ominös angekündigten Musicalszenen finden fast stets in Kooperation zwischen ihr und dem Joker statt. Sie sind oftmals die Phantasmen seiner Psyche. Er habe die Musik gehört, erklärt er zu Beginn, als er Murray Franklin tötete.
Hier ist auch alles dabei, Sonny und Cher Verschnitte, Piano, aber wenig Charakter. Lady Gaga ist in dem Film um quasi Gaga-Style Musik zu liefern. Ihre Figur gerät dabei immer weiter in den Hintergrund, kann schauspielerisch wenig glänzen. Dass Lee offensichtlich in erster Linie nur zu der Joker-Persönlichkeit hingezogen ist, und weniger zu dem Verlierer Arthur Fleck ist ein tragisches Element der Handlung. Aber es kommt vor allem gegen Ende fast wieder zu kurz. Man kann sich nur vorstellen, wie viel Material rausgeschmissen wurde, in den so überlieferten Meetings von Phoenix, Phillips und Gaga während der Produktion. Phoenix hatte das Skript immer wieder umschreiben wollen. Ein bisschen fühlt sich der Film auch so an.
Joker – Folie à deux verharrt zwei Stunden in der Startposition. Wenn es wirklich los geht, ist es zu spät. Ein gut gemeintes, mit netten Musiknummern gefülltes Starvehikel, das leider zu blass bleibt, um zu begeistern.
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Susanne Gottlieb schreibt als Filmjournalistin für die Helden der Freizeit, Kleine Zeitung, NZZ, Standard, TV Media, Filmbulletin, Cineuropa und viele mehr. Sie arbeitet im Filmarchiv Austria, berichtet von diversen Filmfestivals und hat Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert.