Wohl kein Mensch der Welt hat mehr Spiele erfunden als Reiner Knizia. Wie das funktoniert, was ihn antreibt, am meisten nervt und wieviele unfertige Projekte noch in seiner Schublade stecken. Das alles und mehr verriet unser “Held des Monats” beim ausführlichen Interview mit den Helden der Freizeit in Wien.
von Christoph König, 18. 8. 2024
“Spiele öffnen Türen zu anderen Menschen”, sagt Reiner Knizia. Stimmt das, dann hat keiner mehr Türen aufgestoßen wie der 66-jährige Schwabe – ist er doch der produktivste Spieleerfinder der Welt. So gesehen könnte sein Auftritt zum Interviewtermin mit den Helden der Freizeit kaum passender sein. Punkt 14 Uhr öffnet sich im schicken Hotel Savoyen in Wien die Tür des Aufzugs und da steht er – in seiner Einserpanier. Dem schwarzen Anzug und seinem Markenzeichen, der bunten Fliege.
Ein Outfit, dass es auf den Punkt bringt – der Anzug steht für das Business und das Planungsgeschick, mit dem es der Mathematik-Doktor, der eine höchst erfolgreiche Karriere im Bankgeschäft für seine Leidenschaft sausen ließ, bereits rund 800 Spiele auf der ganzen Welt an Verlage und die Menschen zu bringen.
Das krellbunte Mascherl steht hingegen für die Kreativität und Verspieltheit, die es für so viel Innovation braucht. Immerhin bestechen seine Erfindungen trotz der Menge auch mit Qualität – mehrfach wurden sie bereits mit großen Preisen ausgezeichnet, darunter viermal der österreichische und deutsche Spielepreis und zahlreiche Spiel des Jahres Auszeichnungen in vielen Ländern. Kaum jemand, der Gesellschaftsspiele mag und sammelt, hat nicht mehrere Knizias daheim.
800 Spiele in knapp 40 Jahren, das sind 20 im Jahr. Wie schafft das der Knizia? Wie kommt er überhaupt auf die Ideen? Was treibt ihn an und macht er überhaupt gerade in Wien? Wir haben nachgefragt. Als perfekten Einstieg kannst du dir hier auch noch unseren Video-Wordrap mit ihm anschauen.
Reiner Knizia: Das ist eine gute Vermutung, aber wer weiß, was über die lange Geschichte schon alles passiert ist.
Nein, ich glaube da habe ich schon die meisten. Aber mir geht es ja nicht um die Anzahl, möglichst viele Spiele zu machen, sondern es ist bei mir einfach die Begeisterung für Spiele. Was mir auch hilft: Ich bin gut organisiert, weil ich früher größere Firmen geleitet habe. Ich kenne die Abläufe, um ein Spiel – unter Anführungszeichen – perfekt zu machen und ich empfinde das gar nicht als Arbeit. Wir feiern nächstes Jahr schon unser 40-Jahr-Jubiläum.
Nein, überhaupt nicht. Wird es fad Spiele zu spielen? Wird es fad Bücher zu lesen oder zu schreiben? Nein. Die Zeit bleibt ja auch nicht stehen und Spiele sind ein Spiegel unserer Zeit. Wenn man sich die Revolutionen anschaut, die sich in unserem Leben abspielen, wird das alles in die Spiele reingetragen. Es gibt immer wieder neue Herausforderungen. Ich liebe neue Herausforderungen. Die zwingen mich, mich immer neu zu erfinden. Ich kann mich nicht auf alten Lorbeeren ausruhen.
Sucht hat so einen negativen Beigeschmack. Es ist eine Berufung, der ich nachgehe. Ich bin sehr froh, dass ich sie gefunden habe.
Das wäre zu vereinfacht gesagt. Die Frage ist: Wie finde ich nach 800 Spielen einen Ansatz, damit ich mich nicht selbst wiederhole? Das ist schon eine Herausforderung. Deshalb kann ich nicht immer mit der gleichen Methode vorgehen. Ich versuche, einen innovativen Einstiegspunkt zu finden und zu sehen, wie weit mich der trägt.
Bei Pick a Pen zum Beispiel war die Überlegung, alle Farbstifte haben sechs Kanten, dann kann ich die doch rollen und zusätzlich zum Zeichnen und Schreiben wie einen Würfel nutzen. Das sind die schönsten Ideen, wenn einer sagt: Das ist so einfach, warum hat das keiner sonst gesehen? Der Startpunkt gibt dann die Möglichkeit eine Reihe von Spielen zu machen.
Ich bin gar nicht auf der Suche nach neuen Ideen. Es sind einfach schon unglaublich viele Ideen da. Es geht bei den Retreats daher mehr darum, an bestehenden Designs intensiv weiter zu arbeiten. Gerade die Sachen, die mehr Zeit brauchen, auf die ich mich voll einlassen will, damit aus ihnen etwas Bahnbrechendes wird. Nicht, dass mir das so oft gelingt, aber den Anspruch muss ich haben. Da gehen dann schon mal zwei, drei Tage drauf – und die hat man im normalen Alltag im Office nicht.
“Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine andere Stadt so liebe wie Wien. Da fällt mir keine ein.”
Knizia über Österreichs Bundeshauptstadt
Es ist gemütlich, schön, nicht hektisch. Es ist eine wunderbare Stadt. Mir gefällt die Kultur mit den Kaffeehäusern. Auch die Wollzeile mit den ganzen Buchläden. Ich mag auch, dass es hier im Sommer immer so schön ist. Ich mag die Hitze und das warme Wetter. Ich nehme mir diese Retreats einmal im Quartal für 2 Wochen – ansonsten sind es oft nur langweiligere Orte in der Nähe von München, wo ich mit der S-Bahn hinfahre. Aber dann komme ich wieder nach Wien. Ich renne sehr gerne durch das Belvedere. Eine kurze Runde. Früher war ich Leichtathlet – 400 Meter, Dreikampf, Siebenkampf. Schwäbischer Meister bin ich geworden, hab aber nie die Qualifikation für die deutsche Meisterschaft geschafft.
Das kam relativ spät. Ich war nach dem Studium in der IT und in der strategischen Unternehmsberatung. Bin dann 1993 nach London gegangen, um eine Tochterfirma zu leiten. Mit 300 Leuten, 2 Milliarden Neugeschäft jedes Jahr. Das war kein 8 Stunden Job. Dazu hab ich noch meine Spiele gemacht, die auch immer erfolgreicher wurden.
“1997 hab ich mir dann die Freiheit geschenkt, mich gegen das Geld und für das Herz entschieden.”
Knizia über sein neues Leben
Ich mach lieber eine Sache ordentlich, statt auf vielen Hochzeiten zu tanzen. Außerdem hab ich mir gedacht: Die Firma ist jetzt schon so groß. Der nächste Schritt wäre ein noch größerer Job bei einer noch größeren Firma, um Karriere zu machen. Das hätte mich aber aufgefressen
Es gibt zu viele. Vor der Pandemie hatte ich 50 Schubladen mit je einem Spiel in der Entwicklung. Während der Pandemie konnten wir sie nicht testen, so haben sich 100 Schubladen angehäuft.
“Kein normaler Mensch, und auch kein Irrer wie ich, kann an 100 Spielen gleichzeitig arbeiten.”
Die Auswahl ist auch schon die erste Auslese
Manche Ideen stellen sich als nicht tragfähig heraus, aber man muss sie auch erst angehen, um das herauszufinden. Beim Testen kommen auf einmal auch ganz andere Ideen auf.
Wir spielen vier, fünf verschiedene Spiele in der Woche – weil Spiele erfinden heißt, sie zu spielen. Diese Runden dauern etwa 4 Stunden. Einige Spiele werden fertig und andere geraten in Vergessenheit. Das ist ein sehr effektiver Ausleseprozess, weil die Dinge, die laufen, kommen jeden Tag wieder auf den Tisch. Und die Ideen, die stecken bleiben und nicht so interessant sind, fallen raus – und irgendwann werden sie ausgemustert. Ich hab riesen Stapel, bring aber nicht übers Herz sie wegzuschmeißen.
10 bis 20 Prozent jedes Jahr, würde ich sagen.
Ich schätze 3 oder 4.
Stimmt. Aber wir haben stattdessen ja selbst diesen sehr intensiven Ausleseprozess. Ich bin mein schärfster Kritiker. Wenn ich nicht davon überzeugt bin, mache ich es auch nicht fertig.
Das ist wie in der Filmindustrie, die wissen auch nicht, wieviele am ersten Wochenende ins Kino strömen. Natürlich weiß ich bei einem Hobbit oder Star Wars Spiel, dass das in einer anderen Dimension spielt. Normalerweise ist es aber nicht abschätzbar. Wer hätte gedacht, dass ein kleines Spiel wie Lama zum Spiel des Jahres nominiert wird und sich in kürzester Zeit über eine Million Mal verkauft? Es hat halt so einen positiven Trend bekommen. Nicht, dass ich sage, das Spiel ist nichts besonderes, aber es hätte auch ein anderes sein können.
Für Lost Cities, das jetzt einer der Klassiker ist, konnte ich zwei Jahre keinen Verlag finden. Das andere war Heckmeck. Heute wollen dafür alle so ein Würfelspiel.
“Auch eine Ablehnung von einem Verlag ist noch kein Todesurteil.”
Knizia hat auch Spätzünder im Sortiment
Es gibt aber auch den Fall, dass man ein Spiel entwickelt, wo man schon an einen Verlag denkt, sie spielen es einmal und nach einer Woche hat man einen Vertrag. Das sind schöne Momente, aber ehrlich gesagt eher seltene.
Es beherrscht mich nicht so, dass ich nicht loslassen kann. Der erste Gedanken in der Früh ist eher, hab ich einen schönen Tag und kann designen oder muss ich mich mit anderen Dingen herumschlagen. Am Abend mit meiner Frau rede ich auch nicht über Designs, sie hat auch einen spannenden Job, berät und coacht Führungskräfte. Das Leben wird nicht davon beherrscht. Ich treibe gern Sport, lese viel Science Fiction. Ich beschäftige mich viel mit Spielen, bin aber nicht davon besessen. Ich denke jetzt auch nicht während unseres Interviews schon wieder an die nächste Spielidee (lacht).
Unsere Spielebranche ist so faszinierend, weil sie sehr international ist und nicht alle Leute im Nadelstreifanzug daherkommen. Das sind lauter bunte Vögel, die sich aus Liebe zum Spiel zusammenfinden. Und alle diese Spiele öffnen Türen zu anderen Menschen und Kulturen. Ich versuche die langen Reisen einzuschränken. Letztes Jahr war ich zum ersten Mal in Sao Paulo, weil Südamerika ein immer stärkerer Markt für uns wird. Das war sehr faszinierend. Ich war in Peking. Da muss man beachten, dass viele Eltern den ganzen Tag arbeiten und die Kinder bei den Großeltern lassen. Damit braucht es dort Spiele, die die Kinder zusammen mit den Großeltern spielen können.
Es gibt diese schöne Aussage von Fernsehwissenschaftler Heinz Haber – keine Rose ohne Dornen. Was ich nicht mag und unangenehm ist, sind juristische Auseinandersetzungen, die zwar nicht oft, aber doch unverständlicher Weise auftreten, gerade wenn es um sehr erfolgreiche Spiele geht, bei denen man jahrelang gemeinsam im Boot sitzt – und wo der andere auf einmal meint, er müsste sich das alles unter den Nagel reißen.
Spiele abzunehmen, wenn sie nicht ordentlich umgesetzt sind. Wir entwickeln die Spiele ja nur und bringen sie nicht auf den Markt. Dann sind wir immer auf professionelle Verlage auf der ganzen Welt angewiesen, die sie produzieren und vermarkten. Das ist ein Miteinander. Jeder Verlag hat mit seiner Redaktion seinen eigenen Stil, wie sie Regeln schreiben usw. Manche leisten wertvolle Beiträge, andere fühlen sich verpflichtet, sich auch noch einzubringen. Grenzwertig wird es, wenn sie etwas völlig Neues daraus entwickeln wollen, da frag ich mich, wozu sie die Lizenz dafür gekauft haben.
Regeln schreiben ist eine Kunst. Ich glaube, über die 40 Jahre hab ich sie ganz gut gelernt. Weil ich Mathematiker bin, gut organisiert und mir bei der Sprache genau die Terminologie anschaue. Wenn die auf einmal nicht stimmt, jedes Wort auf einmal anders verwendet wird, sei es aus Unerfahrenheit oder Zeitdruck – das kann frustrierend sein, wenn das Gegenüber nicht versteht, was es nicht versteht. Das sind Situationen, denen ich nicht entfliehen kann. Weil mein Name steht auf dem Spiel und ich fühle mich verpflichtet, dass ein gutes Spiel daraus wird.
Wir unterschreiben über 100 Lizenzen im Jahr. Während meiner zwei Wochen Design Retreat in Wien hatte ich jetzt auch vier Großabnahmen mit neuen und klassischen Spielen mit 8 bis 12seitigen Regeln. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen.
“Die waren alle in Ordnung – das heißt ich hatte auf den 8 Seiten vielleicht 150 Anmerkungen.”
Knizia ist ein Perfektionist
Gerade Gelegenheitsspieler haben öfter das Problem, die Regeln nicht zu verstehen. Ihnen sollten wir es nicht noch schwerer machen. Sie sagen dann: Bin ich zu blöd für die Regeln? Meine Antwort ist immer: Nein. Wenn die Regeln nicht ordentlich sind, sind wir schuld.
In meiner Naivität habe ich zuerst ein, zwei Spiele zu Ravensburger geschickt, die nicht ausgegoren waren. Erst mit meiner Arbeit bei der Bank hab ich gemerkt, wie es läuft. Die Leute, die noch nicht genau wussten, was sie mit dem Geld planen, haben nie einen Kredit bekommen. Im Gegensatz zu denen, die schon alles ready hatten, um loszulegen. Da hab ich kapiert, ich kann nicht nur mit einer schönen Idee kommen, aus der man vielleicht was machen kann. Ich muss schauen, dass mein Spiel schon perfekt und durchgetestet ist. Da ging es dann richtig los. 1990 kamen dann gleich zwei Spiele und ein Buch raus. Um ein Meister zu werden, muss man 10.000 Stunden investieren, sagt die These von Malcolm Gladwell. Das hatte ich zu dem Zeitpunkt schon. Dann ist alles sehr schnell passiert. Modern Art gewann als erstes Spiel den deutschen Spielepreis und hat viele Türen aufgemacht.
Das lässt sich schwer über einen Kamm scheren. Bei einem mittelschweren Spiel sind es bei mir zirka 100 Stunden. Manche Glücksfälle sind nach 20 Stunden fertig, andere brauchen 300 Stunden.
Kaum. Man darf das nicht unterschätzen. Als Angestellter denkt man sich, okay, ich mach den Job und sonst wechsel ich halt. Ich lass alle Probleme usw. hinter mir und fang neu an. Mit einem eigenen Betrieb mit Angestellten sind da Kostenfaktoren, die Bürokratie erschlägt einen, daher muss man auch entsprechende Preise verlangen. Man kommt schwer weg davon. Meine Frau kommt von einem Bauernhof, ihr Bruder betreibt ihn immer noch, da kann man auch nie aussetzen mit der Arbeit. Das Spieleerfinden selbst gibt mir aber Energie, die ich in anderen Bereichen dann aufbrauche.
Es ist einmal kein Ende in Sicht. Ich bin heute natürlich nicht mehr so leistungsfähig wie mit 30 – dafür weiß ich aus Erfahrung, was ich mir vielleicht sparen kann.
Leider selten, weil ich meine Spielerunden ja meistens für meine Prototypen brauche. Ich denke mir aber, wenn ich zu viele fremde Lösungen kenne, macht es mir das schwerer, eigene Lösungen für etwas zu finden. Deshalb will ich nicht zu viele andere Mechanismen im Kopf haben.
Das ist die falsche Frage. Bei mir hängt es auch vom Aufwand ab, den ich brauche, um das Spiel zu entwickeln und an den Verlag zu bringen. Ich mache es aus Freude an den Spielen und ich versuche natürlich auch immer, ein breites Publikum zu erreichen, um möglichst vielen Menschen mit meinen Spielen Freude zu bereiten. Der Erfolg meiner Spiele hängt hauptsächlich vom Verlag ab, wo ich sie rausbringe. Bei großen Verlagen geht natürlich viel mehr als bei einem kleinen, der nur eine Nische bedient. Aber das ist für mich kein Kriterium. Vielmehr, wie sehr mir das Herz aufgeht, wenn es rauskommt. Ich messe den Erfolg eher an schönen Spielen. Natürlich versuche ich den großen Welterfolg zu landen. Aber das ist nur ein Aspekt. Ich könnte auch nie ein Startup gründen, nur um es teuer zu verkaufen, das würde mir das Herz brechen. Wenn ich etwas mache, dann ist es meins. Ich ziehe kein Kind auf, nur um es zu verkaufen.
… findest du in unserem Brettspiel-Bereich. Mit Bestenlisten, Tests und natürlich haben wir auch schon einige Knizias für euch unter die Lupe genommen:
My City: Das “Stadtbau-Tetris” im Test
Die 20 besten kleinen Spiele für unterwegs
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Aufmacherfoto: (c) heldenderfreizeit.com
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