In Florian Gantners neuem Roman Eternal Partner regiert die Dienstleistung. Wenn Computer und Maschinen immer größere Teile der Arbeitswelt übernehmen, bleibt einer beschäftigungsbasierten Gesellschaft wenig anderes über, als neue Märkte zu erschließen. Definiert man sich nur durch das, was man tut? Warum also nicht einen Verstorbenen einfach durch einen Arbeitslosen ersetzen?
von Peter Huemer, 22. 8. 2024
Anton Krohn ist arbeitslos. Seine langjährige Stelle in der Datenerfassung wurde von einem Computer übernommen, den er ironischerweise selbst dazu ausgebildet hat. Sein fortgeschrittenes Alter und sein geisteswissenschaftliches Studium helfen ihm nicht gerade bei der Arbeitssuche. Er droht in einer ziellosen Trägheit zu versinken, bis die Agentur Eternal Partners ihm einen Lichtblick schenkt. Anton ähnelt in Aussehen und Stimme einem verstorbenen CEO, er soll daher nun in seine Rolle schlüpfen und als Ersatz ins Leben der Witwe und ihrer Singvögel treten.
Hat man sich einmal in einer angenehmen Routine eingefunden, rennt die Zeit, fließt durch die Finger, bis man plötzlich zurückblickt und sich fragt, wohin sie gegangen ist. Die Jugend, die frische Liebe, das glückliche Eheleben, alles scheint so nah und dennoch erkennt Krohn in seiner Gegenwart wenig davon wieder. Sein bester Freund ist der selbe, seine Frau Martha ist die selbe, obwohl die Leukämie, die sie jahrlang aus dem Leben gerissen hat, Spuren an ihrem Körper und ihrer Persönlichkeit hinterlassen hat – Krohn ist der selbe, aber auch nicht.
Der arbeitslose Krohn verliert sich jeden Tag mehr in der Muße. Es ist aber nicht der Job, der verlorene, der ihn ausmachte, sondern die Tatsache, dass er einen Job hatte. Das ist die These: Die Ordnung, entlang derer das Leben wie eine Weinranke emporwächst, ist der Beruf – das Aufstehen und Heimkommen, die stetig unveränderliche Aneinandereihung von Aufgaben. Und das ist Krohn verloren gegangen. Alles andere wiegt auf einmal schwerer und die einzige Lösung ist eine neue Aufgabe.
Auf den ersten Blick erscheint das Geschäftsmodell der Firma Eternal Partners für Krohn und auch für die Lesenden absurd. In der Welt des Romans, einer spätkapitalistischen Dienstleistungsgesellschaft, die natürlich ein kleines bisschen satirisch übersteigert ist, macht es aber Sinn. Jeder tut für andere, was sie nicht können oder wollen. Das Ersetzen von Verstorbenen in Alltag oder Beruf ist eine logische Folge, wenn Maschinen vieles übernehmen können und der Mensch vor allem dort wertvoll ist, wo seine Menschlichkeit, sein individuelles Aussehen, seine Stimme und Persönlichkeit fehlen.
Wo der Tod eine menschliche Lücke reißt, treten also nun die Menschen, die die Wirtschaft nicht mehr braucht, wie Ersatzteile in Erscheinung – wo immer jemand dafür bezahlen kann. Das Geld lehnt sich soweit es möglich ist gegen die Regeln der Natur auf. Und die Aussortierten werden dafür bezahlt, die Rolle der wirklich wichtigen Menschen zu übernehmen. Schritt für Schritt muss Krohn mehr in die Rolle eines verstorbenen CEO schlüpfen. Erst als Gesprächspartner für die einsamen Singvögel des Toten und dann als Aushängeschild für die Firma. Er soll, zumindest für einige Auftritte, sich selbst abstreifen und der CEO werden, dessen Existenz für viele wertvoller ist als die des arbeitslosen Krohn.
Was Krohn selbst auf den ersten Blick erniedrigend erscheint, bekommt schnell eine weitere Facette. Es ist verlockend, aus der eigenen Unzufriedenheit, den Sorgen um Geld und Gesundheit, in eine Rolle zu flüchten. Vielleicht war das Leben des CEOs ja doch so wichtig, dass man es nun fortführen muss, dass Krohn sich selbst für das Wohl anderer aufgeben sollte. Soweit eine mögliche Rationalisation. Wenn man sein eigenes Leben kaum wiedererkennt, warum nicht ein anderes übernehmen? Es ist eine Konfliktscheue, gepaart mit fehlendem Selbstwert, Gefühle, die wohl jeder im modernen Leben, in der Konfrontation mit der Arbeitswelt, gespürt hat.
Mit jederzeit nahe an Krohn selbst angepresster Sprache, einem engen und umso emphatischeren Blickfeld, gleitet Eternal Partner in die Handlung hinein, die sich mit einer guten Portion Humor einem angenehm unaufgeregt skizzierten Protagonisten schnell als Mosaik intereressanter Assoziationen entpuppt. Der Roman schwingt keine großen Reden, sondern macht seine philosophischen Gedanken stets an Krohns direktem Erleben fest. Die Gespräche mit den Kanarienvögeln sind zwischen Dialogen und verrückten Schauspiel/Kostümeinlagen für die Firma ein perfekter Raum, um dem Protagonisten eine freie Stimme zu verleihen. Eine wunderbare Rechtfertigung für Monologe. Sprachlich ist das Buch elegant simpel gehalten, ohne auf die notwendigen Schnörkel zu verzichten, wo sich die Möglichkeit bietet. Nichts wirkt sprachlich gekünstelt, was gut als Gegengewicht für die mal mehr, mal weniger satirische Handlung funktioniert.
Eternal Partner ist ein erfrischend unzynischer Blick auf eine tiefgreifende Problematik des modernen Lebens. Bin ich, wer ich bin oder bin ich, was ich tue? Was gibt meiner Existenz ihren Wert? Könnte ich jemand anderes sein? Diesen Fragen und mehr widmet sich der Roman mit großer Kunstfertigkeit und angenehmer Leichtfüßigkeit. Große Empfehlung.
Eternal Partner von Florian Gantner ist im Juli 2024 bei Septime erschienen.
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Alle Fotos (c) Markus Zahradnik, Septime Verlag, heldenderfreizeit.com
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.