Was hat uns das Jahr 2023 nicht wieder für großartigen Lesestoff beschert. Zusätzlich zur Auswahl aus unseren Buchtipps des Monats gibt es noch 4 weitere, die es in den vergangenen zwölf Monaten in meine Lektüre geschafft haben und eine Empfehlung Wert sind.
von Peter Huemer, 5. 12. 2023
Eine Auswahl zu treffen, fällt bei all den tollen Büchern dieses Jahr schwer. Trotzdem haben wir fünf Highlights aus unseren Buchtipps für euch ausgewählt. Außerdem gibt’s noch ein paar zusätzliche Werke, die ihr auf keinen Fall verpassen dürft.
Hier gibt’s übrigens bereits unsere 11 Lieblingsbücher 2024.
Wien am Vorabend des ersten Weltkrieges. Die ganze Stadt beginnt sich zu verwandeln und mittendrin geht ein junger Bauernknecht auf die Suche nach einer Psychoanalytikerin. Die Inkommensurablen ist ein komplexer und kraftvoller Roman über Macht und Ansteckungskraft von Ideen und Emotionen. Mit einem Hauch von übernatürlichen Phänomenen und einem Mysterium, das sich durch die letzte Nacht vor dem Krieg webt, zieht einen dieses Buch in einen Bann, wie es nur gute Literatur vermag.
Hier meine ausführliche Buchkritik
Übrigens: Eine Geschichte, die sich ebenfalls mit dem historischen Wien beschäftigt – hier aus Sicht des bewegten Lebens einer Frau, die schließlich dem Nazi-Regime zum Opfer fällt – Anna Amilars Looking for Lilly. Lies hier in unserer Rezension, warum wir dir dieses Buch auch schwer empfehlen können.
Ein Mann verliert seine Firma, gerät in finanzielle Nöte und muss sein Leben, das er für so sicher und geregelt gehalten hatte, neu ordnen und sich selbst neu erfinden. Aber wie erfindet man sich neu, wenn die Welt nicht auf einen wartet und wenn jeder einem widersprüchliche Vorträge hält? Es braucht ein Abenteuer, und wenn das nicht hilft, eine Dekonstruktion, eine gründliche Selbstzerlegung. Aber wo findet man heutzutage ein Abenteuer? Und wie baut man sich wieder zusammen, wenn niemand einem verraten kann wie?
Hier meine ausführliche Buchkritik.
Verschwinden in Lawinen ist einer jener Romane, die mit einer klaren Problemsituation, einer Tragödie beginnen und sich dann von ihr fort, weiter und immer weiter entwickeln, sich in Zukunft und Vergangenheit aufspalten und so viel mehr werden, als es den Anschein hatte. Die Lawine ist für das Buch wie der erste Stein, der das unaufhaltsame Schneebrett losbricht. Die Unbarmherzigkeit des Lebens wird hier über die Schicksale von Menschen in eigentlich teils paradisischer Umgebung konstruiert. Gemeinsam mit dem Wunsch, dass das alles doch etwas bedeuten muss. Ein Berg kann doch nicht einfach nur ein Dreieck in der Landschaft sein! Oder wäre das doch eigentlich eine schöne Vorstellung? Befreiend und klärend.
Hier meine ausführliche Buchkritik
Die Zeit steht nicht still. Man lebt, man liebt, wird alt und stirbt. Aber in der Zeit, die einem gegeben ist, will man zumindest etwas bewirken. Und wenn man die Welt schon nicht verändern will, dann kann man zumindest einen Fixpunkt, einen Herd für das Leben aufbauen. Genau das ist das Café ohne Namen. Ein Ort, an dem sich das Leben sammelt und verdichtet. Ein Ort, um die Zeit zu distillieren. Im Café spielen sich drei Wiener Jahrzehnte ab und die Menschen, die sie bevölkerten – bis es alt wird, die Gläser milchig, der Boiler den Geist aufgibt.
Hier meine ausführliche Buchkritik.
Ein Roman, wie ein langes Gedicht. Eine poetische Reise, wie das Leben ohne jede Sorge um Regeln und Konventionen. Wie feuchtes Holz saugt der Roman alles auf, alle Geschichten und alle Freude und Schmerz und die Protagonistin drückt dagegen, drückt das Wasser aus dem Holz, ohne es je trocknen zu können. Es ist ein Buch, in dem man schwelgt anstatt mitzufiebern. Worte, die man fühlt, erahnt, anstatt sie vollends zu verstehen.
Hier meine ausführliche Buchkritik.
Noch dieser Auswahl aus meinen Buchkritiken des Monats 2023 hier nun noch weitere 5 Empfehlungen aus meinem persönlichen Bücherregal 2023:
Dieser Roman gewann heuer den österreichischen Debütpreis – und das mit Recht. Ein junger Mann kehrt in seine Heimatstadt Wien zurück, nachdem er zuvor Jahre in Berlin verbrachte. Die Stadt ist noch die gleiche und schnell trifft er auch auf Bekannte und alte Freunde. Wenig scheint sich verändert zu haben und was sich verändert hat, folgt scheinbar vorhersehbaren Linien. Aber der Heimkehrer ist nicht mehr ganz der Gleiche, und obwohl er in manchen Situationen an alte Muster anknüpft, gibt es keinen Weg zurück und auch nicht wirklich den Willen dazu. Und gegen Ende gibt es auch noch richtig Drama.
Die erfolgreich verfilmte Buchreihe ist Sci-Fi in Reinkultur – und die Verfilmung hat zurecht auch einen Ehrenplatz in unseren Top22-Amazon-Serien. Spannende Abenteuer, starke Charaktere, interessante philosophische Fragen und all das tief in der Menschlichkeit verankert. Neun Bücher, die einen tiefer und tiefer in den Kosmos ziehen und weitgehend Klischees umschiffen. Dazu kommt noch, dass das Ganze wunderbar geschrieben ist und einem stellenweise eine literarische Gänsehaut aufzieht (Stichwort: Zwischenspiele in Buch 4). Selbst für Leute, die bereits die gesamte Serie gesehen haben, gibt es viel zu entdecken. Die Bücher legen oft einen anderen Fokus und beide Medien zusammen erlauben einem erst den Gesamtblick. Manches machen die Bücher besser, manches die Serien, und zusammen sind sie der ultimative Weltraumgenuss. Außerdem endet die Serie vor einem größeren narrativen Sprung nach Buch Nummer 6.
Dieses Buch ist etwas anderes. Erstens kann man es nur per print on demand bestellen oder online lesen und zweitens entstand es aus dem kooperativen Schreibprojekt SCP-Foundation. Die SCP-Foundation ist eine fiktive Behörde, die sich mit allerlei übernatürlichen Phänomenen befasst, und es existieren tausende Einträge online, von denen viele für jeden Horror/Sci-Fi Fan eine Freude sind. Das Buch ist eine Sammlung einer über Jahre hinweg verfassten Geschichte, die in Sachen Merkwürdigkeit, Kreativität und erzählerischer Konsequenz ihresgleichen sucht. Es geht um Phänomene, an die man sich nicht erinnern kann, Monster, die man nicht wahrnehmen kann. Ein Abenteuer jenseits des Vorstellbaren.
Und zum Schluss noch ein guter Krimi. Es ist keine simple Whodunnit-Story. Es geht nicht um einen Mord und einen schlauen Detektiv, der ihn aufzuklären versucht, sondern vielmehr um Identität in einer Welt, die einem erlaubt zu sein, wer auch immer man sein will. Die Anonymität in der Masse und die Idee, sich immer wieder selbst neu zu erfinden. Das Ganze ist dann noch dazu unheimlich spannend, geistreich und berührernd. Alles, was ein Krimi braucht. Stilistisch steht der Roman dem Rest der zeitgenössischen Literatur in nichts nach. Ein Tipp für alle Krimifreunde und solche, die es noch werden wollen.
Noch eine Buchempfehlung zu einem Lerchbaum-Werk.
Unsere 11 Lieblingsbücher 2024
STYX von Jürgen Bauer
CONTENT von Elias Hirschl
LOOKING FOR LILLY von Anna Amilar
MIR GEHT´S GUT, WENN NICHT HEUTE, DANN MORGEN von Dirk Stermann
VERPASST von Hannah Oppolzer
MÄNNER TÖTEN von Eva Reisinger
GÜNTHER von Andi Appel
DIE BIBLIOTHEKARIN von Peter Marius Huemer
MAUERN von Paul Auer
WAS ÜBER FRAUEN GEREDET WIRD von Mieze Medusa
DAS GRAB VON IVAN LENDL von Paul Ferstl
DAS JOURNAL DER VALERIE VOGLER von Constantin Schwab
TOD AM NEUSIEDLER SEE von Lukas Pellmann
Wiener Buchhandlungen: Die 12 besten Läden der Stadt
Alle Fotos (c) heldenderfreizeit, Haymon, Heyne, Septime Verlag, Jung und Jung, Otto Müller Verlag, Claassen, Kiwi, Klett-Cotta
Peter Huemer stellt bei den Helden der Freizeit jedes Monat in "Peters Buchtipp" ein außergewöhnliches Werk vor. Außerdem schreibt er bei uns über Games, Kino und Streaming. Der Freie Schriftsteller hat vergleichende Literaturwissenschaft studiert und arbeitet auch als Lektor, Korrektor und Übersetzer.